Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
> Macht in der Wissensgesellschaft

Wider den byzantinischen Ungetümen

In der global vernetzten Wissensgesellschaft können sich die Parlamente aus eigener Kraft nicht mehr die nötige Expertise aneignen, um durchdachte Entscheidungen zu treffen. Daher ist eine institutionalisierte Verteilung der Intelligenz im Machtapparat nötig, um Handlungsfähig zu bleiben.

The European

Politiker sind Moderatoren von Abwägungsprozessen. Sie wägen aber nicht nur zwischen Anspruchsgruppen ab, sondern in der Wissensgesellschaft müssen sie zwischen Konzeptionen, Positionen und Perspektiven abwägen. Die Positionen zu den “großen” Problemen – Demografie, Wirtschaftswachstum, systemische Finanzrisiken, Klimawandel, Energieoptionen etc. – sind so hochgradig Expertise-abhängig, dass sie von Laien nicht mehr verstanden werden können.

Byzantinische Ungetüme
Wie die Wähler sind auch Politiker in den meisten Hinsichten Laien. Dies ist kein Vorwurf, sondern Konsequenz einer global vernetzten Wissensgesellschaft. Immer stärkere Spezialisierung macht es selbst für Fachleute schwierig, den Überblick zu behalten. Adäquates politisches Entscheiden fordert, die “verteilte Intelligenz” globaler Fachgemeinschaften zu moderieren, zu integrieren und zu politischen Optionen aufzubereiten. Natürlich passiert genau dies schon lange in den verwinkelten Tiefenstrukturen politischen Entscheidens: in den Beiräten, Kommissionen, Runden Tischen, Beratungs- und Forschungseinrichtungen etc. In allen Demokratien hat sich diese Tiefenstruktur zu byzantinischen Ungetümen aufgetürmt, in denen unklar bleibt, wer warum und wie an politischen Entscheidungen beteiligt ist oder sie gar determiniert. Daher bleibt die Kernfrage: Wie kann es in der Demokratie gelingen, die strukturelle Ignoranz der Parlamente zu überwinden und die notwendige Expertise zu hochkomplexen Problemlagen in die Entscheidungsmaschinerie hinein zu bringen? Eine radikale Antwort hat Russell Hardin gegeben: Er sieht das zentrale Problem moderner Demokratien darin, dass die Wähler eine “generelle Ignoranz” aufweisen, aber auch die Regierung gar nicht genügend wissen kann, um zu “guten” Entscheidungen zu kommen. Was also tun? Entscheidender Ansatzpunkt einer Lösungsstrategie ist, der Tatsache struktureller Ignoranz auf beiden Seiten – Wähler und Gewählte – ins Auge zu sehen. Die versteckten Beratungsstrukturen sind keine Lösung, weil sie legitimatorisch fragwürdig und hinsichtlich Partizipation und Verantwortung ungeklärt sind.
Zwei Kernkompetenzen: Strategiefähigkeit und Lernkompetenz
Eine globalisierte Wissensgesellschaft verlangt von der Politik zwei Kernkompetenzen, welche Demokratien nicht hinreichend ausbilden: Strategiefähigkeit und Lernkompetenz. Strategiefähigkeit ist nötig, weil alle “großen” komplexen Probleme, von der globalen Finanzkrise bis zum Klimawandel, langfristige und kohärente Programme erfordern. Genau dies kann eine auf kurzfristige Wahlperioden ausgerichtete Politik nicht leisten. Lernfähigkeit ist nötig, weil angesichts der Komplexität und Intransparenz der großen Probleme intuitive oder “praktische” Entscheidungen bestenfalls lächerlich, in der Regel aber hochgradig schädlich sind. Denkbar ist, über die Parteien hinaus Einrichtungen der Strategiebildung und des institutionellen Lernens zu schaffen – etwa politische Stiftungen, Forschungsinstitute, politische Organisationen der Zivilgesellschaft. Die Erfahrungen damit sind nicht ermutigend, weil die engstirnige politische Rationalität der Parteien eher zu einer “defensiven Strukturierung” gegenüber diesen Einrichtungen führt, als zu einer produktiven Kombination. Eine fundamentale Anpassung der Politik an die Wissensgesellschaft käme erst dann in Gang, wenn die Parlamente die Rolle eines Oberhauses für allgemeine und grundsätzliche Fragen übernähmen – und darunter eine Vielzahl von Fachparlamenten als “Unterhäuser” für komplexe Problemfelder institutionalisiert würden.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!
Neuen Kommentar schreiben