Lindner gewinnt, Paus verliert, Ampel blamiert
Die Ampelregierung einigt sich nach monatelangem Streit auf eine Mini-Initiative bei der Kindergrundsicherung. Finanzminister Lindner hat die aufmüpfige Familienministerin regelrecht nieder gerungen. Nicht nur Lisa Paus steht vor einem Scherbenhaufen. Von Wolfram Weimer

Das Medien-Echo liest sich für die Familienministerin weder gut noch schlecht, es ist miserabel bis verheerend. Die Zeit nennt sie eine „beschädigte Ministerin“, der Tagesspiegel meint „Lisa Paus hat sich komplett verzockt“, die FAZ urteilt, die Ministerin sei „zunehmend überfordert“. Von der bürgerlichen Neuen Zürcher Zeitung („So sollte Politik nicht sein“) bis zur linken taz („Moralisch und wirtschaftlich schlecht“) hagelt es Kritik auf die Ministerin. Die Versuche, ihr monatelanges Machtspektakel mit Minimal-Kompromiss als Riesenreform schön zu reden, scheitern kläglich. „Schlaraffenland ist abgebrannt“, resümiert das Magazin Cicero. Denn auch die Fachleute und Verbände senken den Daumen. Vom Kinderschutzbund („Enttäuschend“) über das Kinderhilfswerk („Kein großer Wurf“) bis zur VdK-Präsidentin Verena Benteli („Mehr als enttäuschend“) schallt ihr Enttäuschung entgegen, vor allem über Hoffnungen, die Paus selbst massiv geschürt hatte.
Der Misserfolg der Ministerin hat drei Dimensionen. Erstens hat Lisa Paus (Grüne) den demonstrativ aufgetakelten Machtkampf gegen Christian Lindner (FDP) schlichtweg verloren. Sie inszenierte ihr Anliegen der Kindergrundsicherung früh als ein Macht- und Profilierungsthema und legte sich bewußt mit Lindner und der FDP an. Lautstark und kämpferisch begab sie sich auf grüne Barrikaden, um nun im Staub vor dem gelben General zu landen. Paus hat Lindners Macht und Willen unterschätzt. Spätestens mit ihrem Erpressung-Eklat, sein Wachstumschancengesetz demonstrativ zu blockieren, verzockte sie sich. Zu Jahresbeginn forderte sie zwölf Milliarden Euro pro Jahr, Lindner wollte nur zwei Milliarden bewilligen. Die nun verabschiedeten 2,4 Milliarden Euro zeigen, wer am Ende die Machtprobe gewonnen hat. Lindner kann sich einmal mehr als Herold der bürgerlichen Vernunft inszenieren, der unausgegorene grüne Reformpläne ausbremst. Lindner wird nun genüßlich sein Wachstumschancengesetz feiern können, das rund 50 Steuererleichterungen für Firmen vorsieht.
Zweitens zeigt der Vorgang einmal mehr, wie zerstritten und destruktiv die Ampelregierung funktioniert. Es wiederholen sich alle negativen Muster: Grüne und Liberale liefern sich in dieser Regierung offene Feldschlachten, der Kanzler greift zu spät oder gar nicht ein, am Ende stehen faule Kompromisse. Das Gepolter um die Kindergrundsicherung passiert just zur Halbzeit der Wahlperiode, da die Ampel-Regierung bei den Bürgern ohnedies sehr schlecht dasteht. Nach Umfragen zeigen sich fast drei Viertel der Deutschen unzufrieden mit der Regierungsarbeit. Der Koalition wird mehrheitlich nicht mehr zugetraut, die Probleme des Landes zu lösen - und das Paus-Spektakel mit öffentlicher Erpressung und hagerstem Ergebnis wirkt exemplarisch dafür. Ihr Parteifreund und Vizekanzler Robert Habeck kommentiert den Vorgang treffend: „Wir versauen es uns permanent selbst.“
Drittens hat Paus ihren eigenen Grünen einen Bärendienst erweisen. Nach Monaten der Querelen, der Heizhammer-Krise, Verbotsparteien-Defensive und tief fallender Umfragewerte bräuchten die Grünen dringend einen sachpolitischen Erfolg. Doch nun hat Paus den Eindruck in der Öffentlichkeit nur verstärkt, dass die Grünen schlecht regieren.
Neben den handwerklichen Fehlern im Regierunghandeln, die in der Partei von der Gasumlage über die Staatssekretärenaffären bis zu den Rechenfehlern bei Kindergrundsicherung enttäuscht diagnostizieren werden, passiert den Ampel-Grünen derzeit etwas Gravierenderes. Sie verlieren Sympathie.
In modernen Mediendemokratien ist Sympathie ein zunehmend wichtiger Machtfaktor. Die Bedeutung von Kompetenz, Haltung und Herkunft schwindet hingegen. Die Grünen haben davon jahrelang profitiert, denn bei ihnen spielte der Sympathiefaktor eine besondere Rolle. Ihr politisches Gefühlsmilieu hat von Anfang an darauf aufgebaut. Wenn liebenswerte Krötenschützer gegen feiste Autobahnbauer antraten, wenn sich jugendliche Eisbärenbabyretterinnen gegen betagte Ölmanager auflehnten, wenn zartbesaitete Waldfreunde gegen grobe Industrieschlote anweinten oder bunte Vielfaltsfreunde gegen Spießer - immer war der Sympathiefaktor auf der grünen Seite.
Nachdem sympathische Politiker wie Annalena Baerbock, Cem Özdemir der Robert Habeck die Führung der Partei von weniger sympathischen alt-linken Polarisierern wie Jürgen Trittin, Renate Künast oder Anton Hofreiter übernommen und in die politische Mitte geführt haben, verdoppelte sich die Zustimmung in der Bevölkerung von einst 5 bis 10 Prozent auf 15 bis 20 Prozent.
Doch nun zeigt das Fundament des Sympathischen Risse. Immer mehr Menschen finden die grüne Ampel-Politik sogar unsympathisch und bevormundend. Der Bruch im Sympathiegebälk hat mit dem eigenartig alten Instrumentenkasten linker Politik (Verbote, Bürokratie, Besteuerung) aber auch mit einer neuen Besserwisserei zu tun. Paus hätte mit Sozialdemokraten und Liberalen eine geschmeidige Allianz zur modernen Sozialreform schmieden und viel mehr erreichen können. Doch ihr plumper Umverteilungsansatz verknüpft mit machtpolitischen Spielchen hat ihr die Akzeptanz bei Koalitionspartnern wie bei Robert Habeck geraubt - und auch im Publikum. Ihre Niederlage ist daher auch ein Rückschlag der Grünen auf dem Weg der Erholung.