So viel Leben
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Der Film „Blau ist eine warme Farbe“ erzählt die Geschichte einer Liebe. Universell und doch besonders.

Vor allem ist da dieser Mund. Mit roter Spaghetti-Sauce verschmiert. Schmollend. Küssend. Egal, was Adèle mit ihm tut, sie tut es mit Leidenschaft. Die 15-jährige Schülerin schmeißt sich dem Leben entgegen, ohne zu zögern und ohne Sicherheitsnetz. Sie ist so hungrig, dass es scheint, nichts und niemand könnte jemals ihren Appetit stillen. Das Gerede ihrer Freundinnen über süße Jungs und wer wann mit wem Sex hatte, nervt Adèle. Lieber beschäftigt sie sich mit „La vie de Marianne“, einem 600-Seiten-Wälzer von Pierre Carlet de Marivaux aus dem 18. Jahrhundert, der gerade im Unterricht durchgenommen wird. Als Hausaufgabe, so der Lehrer, sollen sich die Schüler mit der Idee der Vorherbestimmung beschäftigen. Ein bisschen muss es Adèle auch wie Vorherbestimmung vorkommen, als sie in einer lesbischen Bar in der Altstadt von Lille jene Frau mit den blau gefärbten Haaren wiedertrifft, die ihr ein paar Tage vorher zufällig auf der Straße begegnete: Emma studiert Kunst und ist ein paar Jahre älter als Adèle – aus den beiden jungen Frauen wird ein Paar, Adèle zu Emmas Muse. Alles, was Adèle in ihrer kurzen Beziehung mit einem netten, sehr in sie verliebten jungen Mann fehlte, erfährt sie nun durch Emma. Auch in diese Beziehung wirft Adèle sich ohne Scheu hinein, gibt, als sei ihr Vorrat an Küssen, an Liebe nie zu Ende.