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> Langweilige Politiker in Deutschland

Keine Experimente!

Die Bundesrepublik war schon immer das Land der drögen, der langweiligen und – ja, auch dies muss gesagt werden – der hässlichen Politiker. Warum eigentlich? Und ist das gut oder schlecht?

The European

Ein Unbekannter namens "Erwin Sellering":http://www.tagesspiegel.de/politik/wahlsieger-sellering-hat-die-wahl/4574334.html ist also, wie mein Fernsehapparat mir in der immer gleichen Floskel entgegenposaunt, „der strahlende Wahlsieger“ von Mecklenburg-Vorpommern. Allein: so richtig strahlen tut er eigentlich nicht, der alte und neue Herr Ministerpräsident. Dafür ist das Lächeln, das er für die Kameras aufsetzt – obzwar bodenständig und sogar irgendwie sympathisch – zu ruhig, zu ernst, zu bieder. Sellering ähnelt damit vielen bekannteren deutschen Wahlsiegern. Mit wenigen Ausnahmen (Joschka Fischer, etc.) war die Bundesrepublik schon immer das Land der drögen, der langweiligen und – ja, auch dies muss gesagt werden – der hässlichen Politiker. In den neunziger Jahren hatten wir Helmut Kohl, Rudolf Scharping und Klaus Kinkel. Heute sind wir von Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Philipp Rösler umzingelt. Sie alle sind … man müsste ein neues Wort erfinden. "Anti-charismatisch? Garantiert charisma-frei?":http://www.theeuropean.de/richard-schuetze/6405-politik-und-ueberzeugung Während wir hier in Deutschland unsere Staatsmacht der Spitzenklasse an Langweiligkeit übertragen haben, sind die USA in den letzten zwei Jahrzehnten von Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama regiert worden. In England heißen die dominanten Persönlichkeiten Margaret Thatcher, Tony Blair und nun David Cameron. Spanien hat einen Zapatero, Frankreich immerhin einen Sarkozy und Italien darf sich – gewiss: es ist eine vermeintliche Ehre – mit Berlusconi brüsten. In Deutschland dagegen waren die meisten Politiker solch einschläfernde Gestalten, dass selbst Gerhard Schröder und Guido Westerwelle als vergleichsweise mitreißend zu gelten hatten. Zwei Fragen drängen sich ob all dieser drögen deutschen Politiker auf. Warum ist unser Spitzenpersonal so bieder? Und ist das gut oder schlecht?

Zwanzig Jahre Plakate kleben
Es wäre verlockend, die Schuld der politischen Klasse in die Schuhe zu schieben. Tatsächlich ist es in Deutschland für interessante Quereinsteiger besonders schwer, in der Politik zu reüssieren. In England sucht sowohl bei Labour als auch bei den Konservativen das „Central Office“ nach verdienten, charismatischen Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, die vielleicht zu einer Kandidatur fürs House of Commons überredet werden könnten. In den USA erlauben es die „Primaries“ jungen Außenseitern wie Barack Obama oder Bill Clinton, für das höchste Amt zu kandidieren. In Deutschland dagegen "entscheidet der Ortsverein Pforzheim":http://www.theeuropean.de/paul-tiefenbach/6110-kumulieren-und-panaschieren, ob der Hans-Günther nach zwanzig Jahren Plakate kleben endlich mal für den Bundestag kandidieren darf. Und wenn Hans-Günther es dann tatsächlich in den Bundestag schaffen sollte, kungeln die Parteioberen unter sich aus, in welchem unwichtigen Ausschuss er dahinschmoren soll, ob er jemals von den hinteren Bänken nach vorne pirschen darf, und ob er irgendwann einmal zu Anne Will in die Sendung geschickt wird. Ja, es wäre verlockend, die Schuld der politischen Klasse in die billigen Schuhe zu schieben – aber damit würden wir es uns zu einfach machen. Denn das eigentlich Überraschende ist ja, dass deutsche Wähler ihren biederen Politikern gegenüber eine erstaunliche Loyalität erweisen, während sie ihren rhetorisch versierteren Landsleuten nicht so recht über den Weg trauen. Kohl wählten wir sechzehn Jahre lang zu unserem Kanzler. Selbst Merkel schien lange unschlagbar. Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber dagegen wollte das deutsche Volk nicht – obwohl oder vielleicht gerade weil beide rhetorisch viel begabter sind. Ja, selbst der charmante Willy Brandt scheiterte zweimal an den Urnen, bevor er endlich ins Kanzleramt durfte.
Sind die Deutschen Masochisten oder Weise?
Die deutschen Wähler sind also für die Biederkeit der deutschen Politiker mitverantwortlich. Aber entpuppen sie sich damit nun als Masochisten – oder beweisen sie damit im Gegenteil etwa ihre Weisheit? Ich glaube: ein bisschen was von beidem. Ein funktionierendes politisches System braucht Politiker, "die mit dem Volk zu kommunizieren wissen":http://www.theeuropean.de/richard-schuetze/7907-krisenkurs-der-kanzlerin, und es auch einmal in dringenden Tönen für ihre Ideale begeistern. An solchen Politikern mangelt es in Deutschland ganz besonders. Das ist einer unter vielen Gründen, warum die Kluft zwischen Politikerklasse und Volk immer weiter wächst. Gleichzeitig ist die Skepsis der deutschen Wähler aber auch gesund. In den USA triumphieren gerade die Kandidaten der Tea Party mit ihren hysterischen Reden. In unseren europäischen Nachbarländern krempeln Rechtspopulisten die Parteiensysteme um – und vermiesen damit nicht nur die Beziehungen zwischen Einheimischen und Einwanderern, sondern erschweren auch die effiziente Regierungsarbeit. Deutschland dagegen sind solch fundamentale Veränderungen trotz der erschreckenden Wahlerfolge der NPD weithin erspart worden. Das ist gut so.
Verantwortung statt Aufregung
Der gemächliche Rheinländer Konrad Adenauer gewann in den Anfangszeiten der Bundesrepublik Wahl nach Wahl mit dem Slogan: „Keine Experimente!“ Auch ein halbes Jahrhundert nach Adenauers Abgang scheint sich sein Volk – indem es verlässlich für die langweiligsten aller Kandidaten optiert – weiterhin mit diesem Slogan zu identifizieren. Spannender machen wir unsere Politik damit sicher nicht. Aber vielleicht verantwortungsvoller.
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