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> Kritik am Meldegesetz

Shitstorm im Sommerloch

Artikel vom

Die Kritik am neuen Meldegesetz ist nicht mehr als ein Shitstorm im Sommerloch. Die Hysterie treibt die Datenschützer vor sich her.

The European

Die Seifenblase ist entstanden, als Herr Weichert im Norden der Republik – Lesern dieses Magazins auch als der "liebwerte Datenschutzgichtling":http://theeuropean.de/gunnar-sohn/10140-ueberwachung-und-schutz-der-privatsphaere aus dem Norden bekannt – am Mittwoch, den 4.7.2012, die Backen aufblies und seinem Mund "eine Pressemeldung entfleuchen ließ":https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20120704-melderecht-und-adresshandel.htm, in der starke bis stärkste Aussagen aneinander gereiht sind wie „Nacht- und Nebelaktion“, „bisheriges Melderecht wird auf den Kopf gestellt“, „gravierende Konsequenzen für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger“, „Legalisieren einer illegalen Praxis“, „schockiert über Form und Inhalt der Gesetzgebung“, „wirtschaftliche Lobbyinteressen werden bedient“, „Datenschutz als Billigware“, „weiterer Schlag ins Gesicht all derer, die dem Versprechen der Koalitionsvereinbarung vertraut haben, den Datenschutz der Bürgerinnen und Bürger zu stärken“.

Empörung auf höchstem Niveau
Diese Empörung auf höchstem Niveau musste sich verbreiten, sie konnte gar nicht mehr von Sachargumenten und Tatsachen beeinflusst werden. Der rhetorische Sturzbach riss andere Landesdatenschutzbeauftragte besinnungslos mit. Als erstes den rheinland-pfälzischen Landesdatenschutzbeauftragten, dessen Pressemeldung vom gleichen Tag („Keine staatliche Unterstützung von Direktwerbung und Adresshandel! - Landesregierung muss im Bundesrat die Notbremse ziehen“) allerdings fast völlig im Rauschen unterging. Dagegen wurde der Bundesdatenschutzbeauftragte mit seinen dem Mainstream hilflos folgenden Aussagen allenthalben zitiert: „Massive Verschlechterung für die Bürger“, „Geschenk für die Werbewirtschaft“. Im Fernsehen sah man den hamburgischen Datenschutzbeauftragten in den Nachrichten, wie er durch Flure und Türen geht und anschließend hilflos etwas über Unverhältnismäßigkeit und verfassungsrechtlicher Ebene im Melderecht stammelt. Der FDP-Obmann im zuständigen Bundstagsinnenausschuss wurde zwar am Freitag Abend noch in den Fernseh-Nachrichten mit der völlig zutreffenden Aussage gebracht, dass die bislang geltenden Landesmeldegesetze überhaupt kein Widerspruchsrecht bei einfachen Melderegisterauskünften vorsehen würden – es war zu spät. Am 9.7. eiferte die Süddeutsche Zeitung „Handel mit Einwohnerdaten – Datenschützer Schaar kritisiert Meldegesetz“, und die Bild-Zeitung setzte sich an die Spitze der Bewegung mit der Schlagzeile „Staat darf Ihre Daten verkaufen! Skandal um neues Meldegesetz – Datenschützer sind entsetzt – Wie Sie sich wehren können“. Jetzt war alles zu spät. Die Bundesregierung warf das Handtuch: Zunächst hatte Frau Aigner Rückzugsbewegungen eingeleitet, dann kam der Regierungssprecher und verkündete: Die Bundesregierung wolle die Verschärfungen des umstrittenen Meldegesetzes wieder rückgängig machen. Die Regierung, die den ursprünglichen Gesetzesentwurf eingebracht hatte, hoffe, dass er doch noch geändert werde und der Datenschutz darin einen größeren Raum erhalte.
Was sind die Fakten?
Es geht vor allem um die sogenannten „einfachen Melderegisterauskünfte“. Dies sind Auskünfte, die nach allen derzeit geltenden Meldegesetzen von keiner anderen Voraussetzung abhängig sind, als dass der Anfragende den Namen des Betroffenen nennen und diesen auch ansonsten identifizierbar machen muss (grundsätzlich also mit dem Geburtsdatum oder zumindest mit der Angabe einer – alten – Adresse). Dann erhält der Fragesteller die Angabe der neuen Anschrift oder ggs. die Information, dass der Betroffene verstorben ist (das Sterbedatum erhält er nicht). Diese Auskunft kann jeder Private verlangen, es kostet eine Gebühr, und es können auch größere Zahlen von solchen Anfragen gleichzeitig in Listen oder in Dateien gestellt werden. Dies ist herkömmliches Recht und herkömmliche Praxis. Im Gegensatz zur Meinung der künstlich Aufgeregten ist das Melderegister schon immer ein Register mit vielen Zwecken; es soll auch und gerade dem Interesse der Bürger und der Gewerbetreibenden dienen, etwa im Fall des unbekannt verzogenen Schuldners. Für wie unsensibel der Gesetzgeber die bloße Anschrift gehalten hat, zeigt sich auch daran, dass an Adressbuch-Verlage alle Anschriften herausgegeben werden, es sei denn, dagegen wurde ausdrücklich ein Widerspruch eingelegt.
Daten müssen in die Wirtschaft
Das neue Gesetz enthält also nichts wesentlich Neues; an den Voraussetzungen der einfachen Melderegisterauskunft wird im Ergebnis nichts geändert. Der Vorwurf der Kommerzialisierung der Meldedaten ist schlicht unverständlich. Diese Daten sollen und müssen im Wirtschaftsleben eine Rolle spielen. Wie wichtig öffentliche Register für eine funktionierende Wirtschaft sind, erleben alle, die in Ländern gewerblich aktiv sind, wo solche Register fehlen. Das vom Bundestag verabschiedete Meldegesetz bringt allerdings auch im Verhältnis zum geltenden Recht keine nennenswerte zusätzliche Schranke bei den einfachen Melderegisterauskünften. Das kann man bedauern – skandalös ist es nicht, und die Aufregung, dass Bürger jetzt an ihre richtige neue Anschrift wieder Direktwerbung erhalten, erscheint deutlich überzogen – auch in der neuen Wohnung dürfte es ja wohl einen Papierkorb geben. Nach wie vor soll es „Gruppenauskünfte“ an Private nur dann geben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Gruppenauskünfte sind Listen von Personen, deren Gruppenzugehörigkeit nur abstrakt bezeichnet ist: Also alle Bewohner einer bestimmten Straße oder eines bestimmten Alters. Solche Listen wären sensibler – um diese geht es aber gar nicht. Es geht auch nicht um sonstige über die Anschrift hinausgehende Auskünfte – auch hier soll es bei der bisherigen Rechtslage bleiben. Insgesamt also: "Viel Lärm":https://twitter.com/#!/search/%23Meldegesetz um fast nichts. _Der Autor bewegt sich in informierten Kreisen und sieht sich als aufmerksamer Beobachter der Kluft zwischen geäußerter Empörung und sachlichem Gehalt. Er zieht es aus beruflichen Gründen vor, anonym zu bleiben._
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