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> Konzertkritik zu Neil Young in Hamburg

Unspektakulär unsterblich

Gigantisch. Düster. Ganz vorne die Bühne. Neil Young. Als würde einer einfach stur immer weiter sein Ding machen, als wäre er noch immer in Woodstock.

The European

Jetzt habe ich die Kritiken der letzten Tage zu seinen Konzerten in Berlin und Hamburg gelesen. Neil Young und Band wurden mehr oder weniger unisono abgefeiert. Keine Ahnung, wie so ein Bonus zustande kommt. Oder doch, klar: der Mann ist ja Bewohner der Hall of Fame des Rock and Roll. Da macht man sich mit Lob ohne Tadel im Regelfalle nix kaputt. Ich war aber da. In Hamburg, in dieser O2-World-Halle an der Sylvesterallee 10. Auf Einladung eines Freundes. Preislich wären die Karten so teuer gewesen, dass wir wohl auf der Bühne Platz nehmen dürften oder müssten, erfahre ich im Vorfeld am Telefon. Mit dieser Halle hatte ich bisher noch nicht das Vergnügen. Als wir ankommen, überrascht mich die Nähe zum HSV-Stadion. Die beiden Klötze umarmen sich fast. Viel, viel Beton. Dazwischen eine Bushaltstelle der Linie 22 aus Blankenese. Ich stelle mir vor, man käme hier nachts an, wenn kein Fußball läuft, oder kein Konzert stattfindet. Muss ein trauriger Ort sein.

Aber Neil Young?
Da wir ziemlich spät erscheinen, befinden sich die Young-Fans bereits im Inneren der Betonschüssel. Ein paar Tausend weniger als hineingepasst hätten. Also nichts mehr los auf dem Vorplatz. Fast nichts: Ein Neil-Young-Coversänger spielt tapfer gegen die untergehende Sonne an, die schon irgendwo hinterm HSV-Stadion versackt ist. Kein Deutscher, ein Englisch-_Native_. Und keinen Schimmer, warum er macht, was er gerade macht. Klar, ein paar CDs sind käuflich. Vielleicht glaubt er auch an diesen einen goldenen Moment, wenn der in die Jahre gekommene Star zufällig auf ihn aufmerksam wird, weil sein eigenes Zeug gespielt wird, womöglich irgendeine Sentimentalität entwickelt und ihn in seine Musiker-Familie adoptieren möchte. Aber die Chancen stehen nicht gut, denn wenn es der Nachsänger drauf angelegt hätte, wäre der Bühnen-Ausgang die bessere Wahl gewesen. Aber dann wäre auch sein Vorhaben durchschaubarer. Egal, wir gehen ohne ihn rein. Und tatsächlich, wie vermutet, die große Schwester der Braunschweiger Volkswagenhalle. Dort gibt es einmal im Jahr ein Turnfest. In der Hamburger Variante vermutet man zuerst einen Sport-Event. WM-Boxen oder so etwas. Vielleicht sogar Motorräder irgendeines PS-Zirkus, die wild durch die Luft fliegen. Spektakel halt. Vielleicht haben es moderne Bands mit ihren dominanten Bühnenshows hier leichter. Technisch ist sicher alles nach neuesten Standards vorbereitet. Aber Neil Young? Wirkt das nicht alles noch mehr aus der Zeit gefallen? Mal sehen.
Deutsche Nationalhymne aus kleinen Lautsprechern
Bevor wir aber nachschauen, genehmigen wir uns in diesen nie enden wollenden betonierten Wandelgängen ein Bier. Alle 100 Meter ein einbetonierter Stand. McDonald’s-Atmosphäre. Im Hintergrund werden die Snacks gefertigt, vorne wird Bier in Plastikbecher gezapft. Das Personal ist heute durchweg jünger als die Biertrinker. Das ist aber auch der einzige Lichtblick. Die Wraps, die Würstchen im Brötchen, die Chips mit lauwarmen Dip – eine einzige Einheitskotze. So alternativlos, dass ich, einfach, weil ich in der Reihe plötzlich ganz vorne stand und nun was bestellen oder wegtreten musste, ein Würstchen nehme, hineinbeiße, ausspucke und wegschmeiße. Ich bin ja Vegetarier. Aber ein schlauer, denn Anstellen an der Toilette – dank hohem Altersdurchschnitt herrscht hier mehr Andrang als an den Getränkeständen – mache ich nicht mit, ich nutze die leere Behinderten-Toilette, die auf Grün steht und wundere mich über eine lose Urinplastikflasche, die jeder mitnehmen könnte. Aber ich lasse sie stehen. Besser so: Denn als wäre da nah an der Urinflasche irgendwie eine unsichtbare Lichtschranke installiert, ertönt plötzlich die deutsche Nationalhymne aus kleinen Lautsprechern in der Betondecke, wo gerade noch irgendeine Vorband geschrammelt hatte. Neil Young eröffnet sein Konzert mit dem Deutschlandlied vom Tonband. So als Start-up-Arschtritt für seine verstörte Gemeinde. Und das ist dann auch der erste Moment, wo man eine Synchronizität feststellt zwischen Hallenarchitektur und Musikerlebnis. Der Moment ist aber schnell vorbei. Ordner drücken uns kleine unbedruckte gelbe Zettel in die Hände. Sie berechtigen dazu, beim Hinaustreten wieder in den Innenraum zu gelangen. Die Reihen drumherum bestehen aus vielreihigen Rängen. Gemessen an der Höhe sind das in herkömmlichen, noch Stein auf Stein gebauten, Theatern sicher mindestens fünf Ränge. Gigantisch. Düster. Ganz vorne die Bühne. Auf der Bühne diese Neil-Young-Deko, die man schon aus Hunderten kleinen Neil-Young-YouTube-Filmchen kennt. Irgendwo weit vorne heben ein paar Alte die Hände samt Kameras, wo sich bei Gegenwarts-Pop-Stars eine Wand aus Handys in den unendlichen Betonhimmel reckt. Vielleicht knipsen aber manche noch analog, so dass man es nicht erkennen kann, denn nur die digitalen Geräte leuchten langhin.
Düster ist wieder im Kommen
Ein paar Beleuchter schicken buntes Licht über das Bühnengeschehen in der Ferne. Sonst tut sich nicht viel. Im Hintergrund hängen viele Banner mit dem charakteristischen Logo des Künstlers übereinander, denn immer mal wieder fällt eines und dahinter taucht ein neues in anderen Farben auf. Ein absolut analoger Gag. So analog, dass man schon genauer hinschauen muss, um es zu erleben. Das Finale scheint das Woodstock-Logo zu sein. Dieser Bird auf Gitarrenhals – piep, piep, wir ham Euch alle lieb. Als eine junge Frau mit Gitarrenkoffer über die Bühne läuft, während der Mann aus Kanada mit Hut an einem klapprigen, mikrofonverstärkten, schwarzen Klavier sitzt, wie man es sonst nur noch in ganz abgelegenen Dorfkneipen findet, haben wir uns mittlerweile mit der Loriot-Bemerkung: „Lasst doch die Kinder mal nach vorne!“ durch diesen Mumienwald gemogelt, der so steif fasziniert auf die Bühne schaut, dass er gar nicht zum fehlenden Kinder runterblickt, sondern willenlos den ausgefahrenen Ellenbogen Platz macht. Obwohl, willenlos ist nicht ganz korrekt, als ich meinen Freund so halbscherzend frage, ob das junge Mädchen da vorne diese singende Altnymphe vom Sarkozy ist und er darüber lacht, grummelt uns einer an und fragt so ganz hintervotzig, ob wir nicht lieber mal nach hinten gehen und ein Bier trinken wollen, er würde gerne hier weiter in Ruhe zuhören. Wir nehmen ihn in die Zange und hauen ihm richtig was aufs freche Maul. Zumindest stelle ich es mir eine Sekunde lang vor. Tja, Neil Young … die ersten Songs gingen anständig los. Fast modern. Düster hat ja Renaissance. Düster ist wieder im Kommen. Je nachdem. Neil moderiert kaum. Auf den Rängen sitzen sich die Leute gegenüber. Dazwischen dieser unendliche überflüssige Raum. Die Menschen müssen sich jeweils um 45° zur Bühne drehen, wenn sie das entfernte Geschehen beobachten wollen. Wie viele zu den Monitoren und wie viele zur Bühne schauen, weiß man nicht. Die Monitorfreaks jedenfalls genießen bei den Ticket-Preisen ein TV-Erlebnis auf hohem Niveau.
Unspektakuläres Unsterblichkeitsding
Als wir gehen, erkennt eine ältere Dame meinen Begleiter. „Ach“, sagt sie, „Sie sprechen immer so schön im Fernsehen.“ Und dann bekommt sie rote Bäckchen und mein Begleiter nickt darüber freundlich. Wir lachen noch ein wenig auf Höhe des Taxistands und sprechen im Fahrzeug über Neil Young, von dem wir eine Menge wissen. Neu hinzugekommen ist heute so ein unspektakuläres Unsterblichkeitsding. Denn so sah es tatsächlich aus: Als würde einer einfach stur immer weiter sein Ding machen, als wäre er noch in Woodstock oder sonst wo, während drumherum alles mehr und mehr in Beton erstarrt. Alles klar. Außer vielleicht die Frage, was es nun mit der deutschen Nationalhymne auf sich hatte. Aber auch das ist dann egaler, als das Taxi auf der Reeperbahn mit all diesen leuchtenden Kneipen und Bars ankommt, die fast immer noch so aussehen, wie damals, als die Beatles hier spielten. Sie wissen schon, diese Band, die sich 1970 trennte. Damals, als Neil Young seine LP „After The Goldrush“ veröffentlichte, auf die bis heute noch über zwei Dutzend weitere Platten und CDs folgten.
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