Politische Kunst™
Wie soll denn jemand ein sozialkritisches Theaterstück ernst nehmen, wenn unten auf dem Flyer Credit Suisse steht?

Das Verständnis von Kunst entsteht durch Sozialisation – ich wurde popkulturell geprägt. Da gab es das englische Punk-Kollektiv „Crass“, das mit seiner Kunst aktiv Politik betrieb und sich Kunst auch gar nicht unpolitisch vorstellen konnte. Die deutsche Band „Ton Steine Scherben“ und das Kollektiv des Georg-von-Rauch-Hauses etwa hatten großen Einfluss auf die 68er-Bewegung. Doch meistens begleitet Kunst Politik eher, als dass sie sie prägt. Kunst sollte diesen gewissen Abstand wahren, um nicht geleitet zu werden. Eine Grauzone tut ihr gut. Wer als Künstler zu einem gewissen Maß über der Politik steht, kann auch radikalere Forderungen stellen: etwa die Öffnung aller Grenzen. Für alle, die politische Verantwortung tragen, ist das schwieriger. Der Künstler besitzt eine gewisse Narrenfreiheit. Doch kann es auch eine Grauzone zwischen politischer Kunst und unterhaltender oder apolitischer Kunst geben? Meiner Meinung nach nicht. Ich komme aus einem Umfeld, in dem man gegen Missstände vorgeht. In dem man sich gegen Repression wehrt. Das kann man auf konventionelle Art tun, mit Demonstrationen oder Flugblättern, oder man nutzt die Attraktivität der Kunst. Der Künstler kann ganz unverstellt an die Dinge rangehen, mit Blick von außen. So entstand meine Band „Die Goldenen Zitronen“ und uns war deshalb immer klar, dass wir auch eine politische Meinung ausdrücken wollen. Einmischung war und ist noch immer fester Bestandteil unseres Selbstverständnisses. Ich bin überzeugter APO-Künstler. Kunst, die sich der Meinungsäußerung verwehrt, empfinde ich als rein dekorativ. Immer wieder hatte ich mit Gruppen wie „Pussy Riot“ oder der teils noch radikaleren „Wojna“ zu tun, die ihre Kunst explizit nutzen, um einen politischen Standpunkt zu vertreten. Im Optimalfall kann die Kunst sogar als Schutzmechanismus dienen – was in Russland leider nicht der Fall ist. Sie ist aber in jedem Fall eine Form der politischen Äußerung, die Beachtung findet. Welchen Effekt politische Kunst haben kann, ist schwer vorhersehbar. Aber sie ändert jedenfalls die Sichtweise der Leute. Ich denke, dass jeder politische Künstler seine „Waffen“ seiner Umgebung anpassen muss. „Pussy Riot“ hat funktioniert, weil sie sich gegen einen repressiven Staat aufgelehnt haben. In Deutschland würde man über ihre Auftritte wohl nur schmunzeln. Unsere Gegner hier sind andere, viel subtilere Leute. Denn heute erleben wir im Westen den Niedergang der letzten Bewegungen, die noch Einfluss hatten: die in den späten 1970er-Jahren entstandenen Gegenkulturen. Doch der Kapitalismus hat mittlerweile verstanden, dass gerade diese ein lukratives Marken- und Werbemittel sind. Musikfestivals sind mit Bannerwerbung übersät und Theater oder Museen werden von Banken finanziert. Aber wie soll denn jemand ein sozialkritisches Theaterstück ernst nehmen, wenn unten auf dem Flyer Credit Suisse steht? Die Unabhängigkeit der Kunst schwindet zusehends. In diesem „Mainstream der Minderheiten“ hat es kritische Kunst schwer. Doch Kunst muss nicht immer nur Opposition sein. Man kann den bestehenden Verhältnissen ja zur Abwechslung auch mal applaudieren, statt sie nur zu kritisieren. Wieso nicht ein positives Lied über Guido Westerwelle komponieren? Doch die aktuellen Verhältnisse bieten einfach so viel Angriffsfläche, dass die Gefahr besteht, dass aus Kunst reine Polemik wird. Zeigefinger und Moralkeulen nutzen wenig. Dieser Spagat zwischen Kritik und Moralin gelingt nicht immer.