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> Komfortzone Qualitätsmanagement

Qualitätsmanagement? Kitsch!

Qualitätsmanagement wird oft als impulsgebend und innovativ gefeiert. Dabei ist es in erster Linie eher politisch korrekt, konservativ – und: kitschig.

The European

Qualität – oder zumindest die Rede davon – ist en vogue, Qualitätsmanagement ist das Gebot der Stunde: In Unternehmen sowieso, aber neuerdings auch in Krankenhäusern, Schulen, Universitäten und so weiter. Der Grund dafür dürfte nicht zuletzt sein, dass es sich bei Qualitätsmanagement um ein kitschiges Wohlfühl-Arrangement handelt, vergleichbar der ebenfalls hoch im Kurs stehenden „Politischen Korrektheit.“ Beides sind Versuche, den in der Postmoderne verloren gegangenen Glauben an Sicherheit zu rehabilitieren und dabei mit einfachen Formeln bzw. mechanistischen Prinzipien für neue Übersichtlichkeit inmitten beunruhigender gesellschaftlicher Komplexität und Kontingenz zu sorgen. Qualitätsmanagement versucht nämlich, der unübersichtlichen und unsicheren Wirklichkeit auf „politisch korrekte“ Art und Weise Herr zu werden – und zwar mit einer im Kern kitschigen Ästhetik des Mechanischen: „Kitsch is mechanical and operates by formulas“, wie C. Greenberg schreibt, „it takes the disturbing and makes it comforting.“ So ist auch das Ziel von Qualitätsmanagement die bestmögliche, beinahe bedingungslose Befriedigung der Wünsche von Kundinnen sowie in weiterer Folge das Bewahren ebendieser Kundinnen vor Irritation, Verunsicherung und bitteren Enttäuschungen (oder zumindest vor unangenehmen Überraschungen): Wie das kitschige Bild eines Sonnenunterganges am Meer die Erwartungen seiner Betrachterinnen nicht durch störende Elemente (wie herumliegende Bierdosen) enttäuschen darf, so bemüht sich Qualitätsmanagement um die Erfüllung der Erwartungen seiner Kundinnen: „Qualität ist der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“, wie die DIN-ISO als Doyenne des Qualitätsmanagementdiskurses erklärt.

Kitschiger Komfort statt innovativer Irritation
Insofern ist Qualitätsmanagement mit seinem Bestreben, die Erwartungen der Kundinnen zu erfüllen als Kitsch-Phänomen gleichzeitig politisch korrekt und konservativ, aber kaum innovativ. Innovation birgt nämlich ein riskantes Moment der Irritation, der Verunsicherung und des Verweises auf die Mehrdeutigkeit eines Kontextes an Möglichkeiten, während Qualitätsmanagement eine eindeutige Orientierung an den Erwartungen der Kundinnen propagiert. Die Erfüllung dieser Erwartungen wird zur komplexitätsreduzierenden „Kontingenzformel“ (N. Luhmann), das Hinterfragen ihres Horizonts hingegen entbehrlich. So etabliert Qualitätsmanagement eine Komfortzone und sorgt als Wellness-Programm für zufriedene Kundinnen – unabhängig davon, ob technologische oder ideologische Aspekte dominieren (zum Beispiel Handbücher oder die Organisationskultur). Dahinter liegt der Glaube an quasi-mechanistische Steuerung. Diese zielt darauf ab, das Befriedigen von Kundinnen bzw. ihrer Wünsche formelhaft zu regulieren und die Komplexität der Welt durch die Herstellung von Eindeutigkeit (statt durch die Handhabung von Mehrdeutigkeit) zu reduzieren. Dieses Bemühen um Eindeutigkeit tendiert letztlich dazu, kitschig zu werden – womit sich der Kreis zur Politischen Korrektheit schließt: Qualitätsmanagement propagiert die Orientierung am Bekannten, was in vorhersehbare Übersteigerung führt und gleichzeitig vor unangenehmen Überraschungen bewahrt. Dies entspricht jener „Hermeneutik des Begehrens“ (U. Bröckling), die auf eine Unterwerfung unter die subjektiven Bedürfnisse der sogenannten „Stakeholder“ hinausläuft.
Kundinnen als Opfer?
Damit deckt sich die Kundinnenzufriedenheitsrhetorik des Qualitätsmanagements mit ihrer Vermeidung von Verstörung auf frappante Weise mit der Opferrhetorik der Politischen Korrektheit: Da wie dort gelten (potentiell) artikulierte Ansprüche bereits als legitim, können (potentielle) Kundinnen und (potentielle) Opfer stets auf ihre autonomen Bedürfnisse pochen, regiert (bisweilen mit diktatorischen Zügen) die nicht zu widerlegende Autonomie der ersten Person. Dies mündet schließlich in eine eigentümliche Kombination aus vorauseilendem Gehorsam und paternalistischem Ethos mit dem hehren, wenngleich kitschigen Anspruch, die (potentiellen) Bedürfnisse der Kundinnen und Opfer zu antizipieren bzw. zu erfüllen bevor sie artikuliert werden und damit politisch korrekte und kitschige »Komfortzonen« zu konstruieren. Da allerdings aus jedem (noch) nicht befriedigten Bedürfnis über kurz oder lang (potentielle) Benachteiligung und Unzufriedenheit entstehen kann, tut sich ein (prinzipiell) unbeherrschbares, jedenfalls unübersichtliches Feld auf. Anstatt jedoch Komplexität dynamisch und diskursiv durch einen Dialog über Bedürfnisses sowie deren Funktion und Legitimität zu reduzieren, verstricken sich Politische Korrektheit und Qualitätsmanagement in Substanzbegriffen. Bevor die Debatte noch eröffnet ist, wird sie auch schon immunisierend geschlossen: Opfer, Täterinnen und deren Bedürfnisse stehen ja ex ante immer schon fest.
Qualität: Nein Danke!?
Wer aber in den eigenen Erwartungen, Bedürfnissen, Wünschen etc. immer nur dadurch bestätigt wird, dass diese antizipiert, akzeptiert und vor allem: erfüllt werden, begibt sich zum einen der Chance auf neue Erfahrungen und Einsichten. Zum anderen ist die subjektive Autonomie der Kundin im Qualitätsmanagement wie jene des Opfers im Schutz der Politischen Korrektheit insofern eine bloß scheinbare als diese „Sorge um sich“ (M. Foucault) zu einer Unterwerfung des Subjekts unter die – mit besten, politisch korrekten Absichten, jedoch absolut gesetzten – autonomen Ansprüche und damit zu einer fraglosen Akzeptanz des „totalitären Kitsch“ (M. Kundera) führen. Beides scheint allerdings durchaus verzichtbar.
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