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> Kitsch und Kirche

Alles ich

Maria Jepsen trat zurück. Mit ihr verliert nach Margot Käßmann eine weitere feministische Bischöfin ihr Leitungsamt. Auch in anderen Fällen zeigt sich: Wo Betroffenheit und Subjektivität dominieren, wird Glaube zum Kitsch.

The European

Vorsicht, Kitschalarm! Am Platz ist das süßliche Mittelchen, wenn Degeto oder Hollywood, zwei professionelle Kitschschmieden, Filme produzieren. Das Oberstübchen darf sich dann wohlig zurückziehen, die Gedanken haben Pause, der Effekt triumphiert: Ach, wie schön sind die Freuden der Subjektivität; wie herrlich lässt sich‘s baden im Tümpel der Allgemeinplätze! Außerhalb des Films deutet Kitsch aber fast immer auf Unreife. Wer ganz auf die Mittel setzt, ging des Zweckes meist verlustig. Daran ist aus gegebenen Anlässen zu erinnern – nach dem Rücktritt von Maria Jepsen und der Bestrafung Paul Vlaas. Der Mann aus den Niederlanden ist Pfarrer der römisch-katholischen Kirche. In dieser Eigenschaft stand er am Tag des Endspiels der Fußball-WM einer Fußball-Messe vor. Er trug ein liturgisch nicht vorgesehenes orangefarbenes Gewand. Er ließ sich einen Fußball zuschießen, jonglierte mit einem Ball während der Predigt. Die Kirche war in den Nationalfarben geschmückt, Wimpel hier, Fahnen dort. Das Publikum trug orangefarbene Textilien, war im Gesicht bemalt, lachte laut. Der für die Gemeinde Obdam zuständige Bischof von Haarlem-Amsterdam fand dergleichen nicht spaßig. Er schenkte dem Gaukler eine Zeit der Besinnung und entband ihn von seinen Pflichten.

Ein Leugner des Zwecks
Paul Vlaa verwandelte sich aus vermutlich wohlmeinender Absicht in einen Clown. Er gab den Fußballfan und Gotteskumpel in einem Rahmen, der dafür nicht vorgesehen ist. Die sonntägliche Messe gilt als Zentrum katholischer Frömmigkeit. Haupt und Hauptdarsteller soll Christus sein. Vlaa machte sich des liturgischen Kitsches schuldig. Er stellte die eigene Subjektivität und den Effekt – lachen, grölen, lustig sein – über die Essenz. Er war Meister seiner Mittel, fing den Ball, setzte die Pointen, verkleidete die Kirche, und ein Leugner des Zwecks: einen anderen zu preisen. Dem Publikum zugewandt, subjektiv, plakativ, effektvoll präsentierte sich auch die erste Frau an der Spitze einer protestantischen deutschen Landeskirche, Maria Jepsen. Sie trat am vergangenen Freitag aus Gründen zurück, deren Überzeugungskraft ich nicht beurteilen kann: Ist sie Hinweisen auf sexuellen Missbrauch durch einen evangelischen Pastor nicht hinreichend nachgegangen? Hat sie “vertuscht”? Ihre 18 Jahre als Bischöfin des Sprengels Hamburg der nordelbischen Kirche waren gekennzeichnet durch eine spezielle Form theologischen Kitsches, das Politisieren im ausschließlich eigenen Namen. Kitsch ist dergleichen, weil einige wenige Themen im melodramatischen Tonfall der Betroffenheit aus programmatisch subjektiver Perspektive wieder und wieder dem Publikum dargeboten werden. Was Christine Neubauer, der Kitschkönigin des Fernsehens, die eine Geschichte ist von der Frau, die die Welt rettet, war Maria Jepsen der Jepsensche Feminismus: Da standen sie, da wollten sie nicht anders. Maria Jepsen wünschte sich die Krippe (”ein so freundliches Zeichen”) statt des Kreuzes als christliches Symbol. Sie befürwortete den Muezzin-Ruf, aber auch die Anerkennung der Prostitution als Beruf. Sie lehnte die Jungfrauengeburt Mariens und den Sühnetod Christi ab. Sie forderte die Gleichberechtigung schwul-lesbischer Partnerschaften im Kirchenrecht und die Verankerung der “sexuellen Identität” im Grundgesetz. Jesus nannte sie einen “besonderen Menschen”. Ein innerprotestantischer Kritiker, Jens Motschmann, warf ihr vor, Irrlehren zu verbreiten.
Symptom und Katalysator des Glaubensabbruchs
Maria Jepsen vertrat Meinungen, die volles Daseinsrecht haben in einer zivilen Gesellschaft. Meinungsproduktion aber ist kein bischöfliches Kerngeschäft. Zum Kitsch wird das Trommelfeuer der ewiggleichen, eng bemessenen Ansichten, wenn dadurch zwar deren Darstellerin bekannt, die Botschaft aber ununterscheidbar wird. Die Quittung für soviel subjektiven Kitsch bekam Jepsen von der “Dithmarscher Landeszeitung”: Während Jepsens Amtszeit haben 300.000 Protestanten ihrer Kirche den Rücken gekehrt; nun sei eine “Abkehr von Positionen nötig, die der feministischen Theologin Jepsen besonders am Herzen lagen, die jedoch die schweigende Mehrheit der Protestanten ihrer Kirche entfremdet hat.” So schließt sich der Kreis zu Paul Vlaa. Er trieb in einem Land seine Späße, das in den letzten 50 Jahren eine Halbierung des christlichen Bevölkerungsanteiles erlebt hat. Vlaa wie Jepsen sind gewiss nicht Auslöser, aber Symptom und Katalysator des Glaubensabbruchs. Ein Bäcker, der betroffen erzählt, wie schlecht es um das Bäckerhandwerk bestellt sei, wie toll er aber Einrad fahren könne; ein Wirt, der den Koch schmäht, den Gast aber mit Witzen in der Kneipe halten will; ein Postbote, der an der Welt leidet und darum nur sporadisch Briefe zustellt, immer aber für eine Lichterkette zu haben ist: Sie alle hätten ihren Beruf verfehlt. Sie alle trügen dazu bei, dass man sich abwendet. Nicht anders ist es um die kitschgestählten Prediger in eigener Sache bestellt.
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