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> Kindesentführungen durch ausländische Ehepartner

Holt unsere entführten Kinder zurück!

Stellen Sie sich das folgende Szenario vor: Ihr Ehepartner unternimmt zusammen mit Ihren Kindern einen Wochenendausflug. Sie denken an nichts Böses. Am Montag stellen Sie jedoch fest, dass Ihre Kinder nicht von dem Ausflug zurückgekehrt sind. Ihr Ehepartner ist ebenfalls verschwunden. Sie machen sich größte Sorgen und beschließen, die Polizei einzuschalten. Doch dann beginnt das Drama erst!

The European

Ihre Kinder sind weg, der Ehepartner auch. Spurlos verschwunden. Die Polizei teilt Ihnen nach wenigen Tagen mit, dass sich Ihre Familie in das Heimatland Ihres Ehepartners abgesetzt hat. Sie beginnen nun Stück für Stück zu realisieren, dass Ihre Kinder von der Person, die Ihnen vermutlich am Nächsten stand, entführt worden sind. Eine Horrorvorstellung für jeden von uns. Zur quälenden Sorge um die eigenen Kinder kommt die deprimierende Erkenntnis, dass ihre private Welt zwischen den Kulturen – besser: in mehreren Kulturen zugleich – eine pure Illusion war, in vielen Fällen sogar eine handfeste Lebenslüge. Kurzgesagt: Kinder weg, Herz und heile Welt zerbrochen. Eine solche Kindesentziehung ist kriminell und wird in Deutschland nach §235 StGB strafrechtlich verfolgt. Doch das Problem ist noch größer. Wenn die Entführung innerhalb Deutschlands stattfindet, haben Sie noch sehr gute Chancen, Ihre Kinder wiederzusehen. Schwieriger wird es hingegen, wenn Ihr Ehepartner einen ausländischen Pass hat und Ihre gemeinsamen Kinder über die deutschen Landesgrenzen hinweg entführt. In diesem Fall kann Ihnen je nach Zielstaat ein jahrelanges Martyrium mit unklarem Ausgang bevorstehen. Ich habe seit Beginn meiner Abgeordnetentätigkeit im Deutschen Bundestag viele solcher tragischen Fälle kennengelernt. Die betroffenen Elternteile (eng. left-behind parents, LBPs) haben mir berichtet, dass sie anfangs noch an die Rückführung ihrer Kinder geglaubt hätten. Denn mit dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) gibt es ein internationales Regelwerk, das genau für solche Fälle konzipiert worden ist. Es soll zum einen „die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherstellen“ und zum anderen „gewährleisten, dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht zum persönlichen Umgang in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird.“ Diese beiden Ziele wurden im ersten Artikel des HKÜ festgeschrieben. Alle unterzeichneten Staaten sind völkerrechtlich daran gebunden. Doch obwohl das Abkommen formell in über 98 Staaten gilt, wird es von vielen Ländern nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt. Damit stehen die betroffenen Elternteile vor der bizarren Situation zwar im Recht zu sein, aber nicht Recht zu bekommen. Das HKÜ scheitert an seiner Umsetzung.

Hunderte von Opfern, jährlich
In der EU gibt es zusätzlich noch die Brüssel-IIa-Verordnung, welche für alle Mitgliedsstaaten (außer Dänemark) gilt. Doch selbst dort gibt es teilweise erhebliche Defizite. Mir sind Fälle aus der Slowakei bekannt geworden, die zeigen, dass die zuständigen Behörden kein Interesse an Rückführungen haben. Doch wie viele Fälle von grenzüberschreitenden Kindesentführungen gibt es überhaupt in Deutschland? Ich habe in dieser Angelegenheit bereits zwei Kleine Anfragen an die Bundesregierung gerichtet. Laut dem zuständigen Ministerium (Justiz und Verbraucherschutz) werden jährlich Hunderte Kinder auf solche Weise ins Ausland entführt. Das ist schockierend. Doch der Grundtenor der Regierung lautet sinngemäß: Schlimm, aber wir haben alles unter Kontrolle. Denn die „Bundesregierung sieht das Übereinkommen […] als ein wirksames Instrument zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kindesentziehung und zur Abhilfe im konkreten Einzelfall an“ (Drucksache 19/329). Genaue Zahlen über die Rückführungen wollte die Bundesregierung mir auf meine Anfragen hin bemerkenswerterweise nicht mitteilen. Warum, fragt man sich da, wenn das HKÜ doch so „wirksam“ ist. Dann müsste die Regierung doch stolz Zahlen präsentieren können, die dies belegen, sollte man meinen. Immerhin wurde ich auf eine Studie von Nigel Lowe von der Universität Cardiff aufmerksam gemacht. In dieser Untersuchung wurde festgestellt, dass die globale Rückkehrquote in allen HKÜ-Verfahren ca. 45 Prozent beträgt. Wenn man dabei bedenkt, dass in dieser Gesamtquote Staaten wie Deutschland und die Ukraine in einem Topf geworfen werden, mag ich aus deutscher Sicht darin keinen Erfolg erkennen. Der stellvertretende Justizminister der Ukraine, Serhij Petuchow, hat in einem TV-Interview 2017 eingeräumt, dass im Zuge von 33 Rückführungsanträgen kein einziges entführtes Kind nach Deutschland zurückgebracht worden ist.
Und was macht das Auswärtige Amt?
An Beiträgn wie diesen sehen wir, dass das HKÜ bei der Erreichung seines Primärziels, nämlich der Rückführung entführter Kinder, Probleme hat. Doch selbst bei dem zweiten Ziel, der Gewährleistung des Umgangsrechts, gibt es Defizite. Denn auch dieses Recht wird in vielen Fällen durch das andere Elternteil unterbunden. Betroffene Väter und Mütter stehen deswegen regelmäßig vor verschlossenen Türen, wenn sie ihre Kinder sehen möchten. Leider keine Überraschung. Wer ein Kind entführt, kann nicht gerade als vertrauenswürdige oder integre Person angesehen werden. Deshalb ist das betroffene Elternteil vollkommen auf die Vollziehung des Rechts im Entführungsstaat angewiesen. Jetzt nähern wir uns dem Kernproblem des HKÜ: In korrupten Staaten mit unzureichender Rechtssicherheit sind die betroffenen Elternteile vollständig der Willkür der zuständigen Behörden unterworfen. Als Ausländer, mit mutmaßlich geringen Sprachkenntnissen in dem Land sind sie allerdings von Anfang an in einer schwachen Verhandlungsposition. Denn in anderen Staaten hilft die eine Hand der anderen. Solidarisch ist man vor allem mit den eigenen Leuten. Wieso also einem Ausländer helfen, der die Kinder einem Landsmann bzw. einer Landsfrau „wegnehmen“ möchte? Zum Glück gibt es da das Auswärtige Amt, möchte man annehmen. Dieses müsste doch alle Hebel in Bewegung setzen, um die entführten Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit wieder zurückzuholen. In der Praxis gestaltet sich das allerdings schwierig. Denn man möchte ja nicht die guten Beziehungen zu einem anderen Staat aufgrund eines tragischen Einzelfalls beschädigen. Viele betroffene Väter und Mütter, mit denen ich geredet habe, sind deshalb völlig verzweifelt und mit den Nerven am Ende. Sie fühlen sich vom Staat im Stich gelassen und sind auf sich alleingestellt. Neben emotionalen Problemen haben sie oftmals auch mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Selbst Gutverdiener können sich die jahrelangen Verfahren im Ausland, die dazu auch meist noch im Sande verlaufen, kaum leisten. Mir ist ein Fall bekannt, in dem das Kind nach Japan entführt worden ist. Alleine die enormen Flugkosten, die selbst getragen werden müssen, machen sich im Portemonnaie der Betroffenen bemerkbar. Was mich allerdings besonders wütend macht, ist die Tatsache, dass die betroffenen Väter und Mütter unterhaltspflichtig für ihre entführten Kinder sind. Wenn es ums Geldeintreiben geht, kennen die deutschen Behörden bekanntlich kein Pardon. Die betroffenen Elternteile müssen deshalb umgehend von der Unterhaltspflicht befreit werden. Die aktuelle Regelung ist nicht nur zynisch, sondern ermutigt potentielle Entführer geradezu bei ihrer Entscheidung, ins Ausland zu gehen. Das gilt insbesondere für Elternteile aus den sogenannten Armenhäusern dieser Welt.
Die Kinder leiden am meisten
Doch nicht nur die betroffenen Elternteile haben unter der Entführung erheblich zu leiden. Es sind insbesondere die Kinder selbst, die dadurch psychische Schäden davon tragen. Sie werden aus ihrem gewohnten Alltag herausgerissen, von einem geliebten Elternteil getrennt und in ein Land verschleppt, in dem sie oftmals nicht einmal die Sprache verstehen. Hinzu kommt, dass sie dort nicht den gleichen Lebensstandard wie in Deutschland genießen, vor allem im Hinblick auf das Bildungs- und Gesundheitssystem. Ihnen wird schlicht ihre Zukunft weggenommen und ihr Leben zerstört. Den entführenden Elternteilen wird oftmals Verständnis zuteil, vor allem in deren Heimat. Nun, dass Ehen scheitern, ist mittlerweile leider fast schon die Regel und nicht die Ausnahme. Das mag sein. Auch dass viele eingewanderte Menschen Sehnsucht nach ihrer alten Heimat und ihren Familien haben, ist verständlich. Dies gibt jenen Elternteilen aber nicht das Recht, das Schicksal ihrer Kinder alleine in die Hand zu nehmen und sich dorthin abzusetzen. Über Probleme kann man reden. Auch über den Umgang und das Sorgerecht für die Kinder. Wer den Nachwuchs aus egoistischen Gründen entführt, ist schlichtweg kriminell. Dafür darf es kein unangebrachtes Verständnis geben. Auch die Bundesregierung darf nicht länger tatenlos bei diesen Verbrechen zusehen, sondern muss handeln. Das Schicksal entführter Kinder muss regelmäßig bei bilateralen Regierungstreffen angesprochen und die Einhaltung der Vertragspflichten verlangt werden. Kein Kind darf vergessen werden. Zudem könnte die Regierung einen Beauftragen für internationale Kindesentführungen ernennen, der betroffenen Bürgern für Eingaben, Hilfgesuche und Beschwerden zur Verfügung steht. Auch die Kindesrückführungen könnten durch die Bundesregierung beschleunigt werden. Dafür müsste nur das geltende Recht, sprich das HKÜ, konsequent angewendet werden. Falls sich andere Staaten weigern das völkerrechtliche Abkommen umzusetzen, das sie unterzeichnet haben, muss das Auswärtige Amt diplomatischen Druck ausüben. Denn dafür ist es da! Gute Beziehungen zu anderen Staaten sind wichtig, aber kein Selbstzweck. Sie dienen dem Interesse der deutschen Bürger. Wenn ein deutscher Staatsbürger entführt worden ist, auch und gerade wenn es sich dabei um ein Kind handelt (!), muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass dieses wieder in seine Heimat zurückgeführt wird. Beim Türk-Deutschen Denis Yüzel hat es schließlich auch geklappt. Der Vergleich mag hinken, aber er zeigt, dass durch politischen und medialen Druck Rückführungen möglich sind. Das gilt übrigens auch für entführte Kinder. Immer wieder hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass durch den Einsatz von engagierten Journalisten und Politikern, andere Staaten eingelenkt haben. Denn niemand möchte als Unterstützer von Kindesentführungen gelten.
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