„Um Syrien tobt eine Schlacht der Bilder“
Der Journalist und Fotograf Marcel Mettelsiefen war in den vergangenen Monaten sieben Mal in Syrien. Er hat Assad-Anhänger und Rebellen wochenlang mit der Kamera begleitet. Mit Florian Guckelsberger sprach er über Parallelen zu Libyen, Journalismus im Ausnahmezustand und die zu oft einseitige Berichterstattung.

*The European: Sie sind vor Kurzem von Ihrer letzten Syrien-Reise zurückgekommen. Wie war die Situation im Land, als Sie es verlassen haben?* Mettelsiefen: Es kommt stark darauf an, wo man sich befindet. Dieses Mal war ich bewusst nicht in dem Teil des Landes, in dem sich die Aufständischen befinden. Ich wollte eine Geschichte über die Alawiten machen, über die Menschen hinter dem Regime Assad. Auch über die stille Masse der christlichen Bevölkerung, über die Stillen und Unentschlossenen. Das war nur möglich, indem ich mich komplett von den Rebellenhochburgen, von meinen Kontakten in der Opposition ferngehalten habe, um die Aktivisten nicht in Gefahr zu bringen. In den nordwestlichen Alawiten-Bergen rund um Tartus und Banias war es erstaunlich ruhig. Vereinzelte Straßenkontrollen und eine große Skepsis gegenüber Ausländern sind die einzigen spürbaren Veränderungen in dieser Region zum vorrevolutionären Syrien. Und auch Damaskus befindet sich noch immer in einer Art Blase – es gibt zwar jede Menge Straßensperren, vor allem in Kafar Sousah rund um die Geheimdienstzentralen –, den meisten Menschen merkt man die Situation jedoch nicht an. Im Christenviertel Bab Touma hat noch vor zwei Monaten ein neuer Nachtclub eröffnet, der vor allem am Wochenende gerammelt voll ist. *The European: Mittlerweile hat der Westen erhebliche Sanktionen gegen Syrien verhängt – wie wirken die sich auf das Leben im Land aus?* Mettelsiefen: Die Sanktionen treffen wie immer die Falschen. Assad hat mit China, Russland, Iran und auch Irak nach wie vor starke Partner, die dem Regime nicht nur finanziell den Rücken stärken. Das Kleingewerbe und die Mittelschicht trifft das Embargo dagegen besonders hart, Bankgeschäfte und internationale Transaktionen sind seit Monaten nicht mehr möglich. Der Tourismus ist vollkommen weggebrochen. Die syrische Politik der wirtschaftlichen Öffnung, von der das Unternehmertum seit der Machtergreifung Baschar al-Assads stark profitiert hatte, ist damit komplett zunichtegemacht. Am Ende bewirken die Sanktionen vor allem eine Stärkung der politischen Elite, die von einer nationalen Trotzreaktion profitieren. *The European: Die EU-Sanktionen bewirken also einen Rally-Round-The-Flag-Effekt, der die syrische Regierung stützt?* Mettelsiefen: Ja, zumindest im Moment. Die Sanktionspolitik des Westens greift meiner Meinung nach zu kurz und ist kontraproduktiv. Auf der anderen Seite ist es schwierig, zu sagen, welche Reaktion geeigneter wäre, um Druck auf Damaskus aufzubauen.
*The European: Dennoch scheint es derzeit keine Alternative zu diesen Maßnahmen zu geben, ist der UN-Sicherheitsrat doch weiter durch das Veto Russlands und Chinas blockiert. Auch die Beobachter-Mission der Arabischen Liga hat am Ende nichts bewirkt.* Mettelsiefen: Ich glaube, die Möglichkeiten, auf diesen sensiblen Konflikt zu reagieren, werden immer geringer. Zu viel Zeit ist ins Land gegangen, zu viele Chancen wurden verschenkt. Syrien versinkt im Chaos, es herrscht Bürgerkrieg. Einen konstruktiven Dialog wird es nicht geben, da sich die Opposition angesichts der steigenden Opferzahlen weigert, mit Assad in Verhandlungen zu treten. Damit hat das Regime genau das erreicht, was es wollte. Mit dem Tag, an dem der friedliche Widerstand gewalttätig wurde, waren alle Dialog-Optionen passé. *The European: In den vergangenen Monaten waren Sie sieben Mal in Syrien, unter anderem auch in Rebellen-Hochburgen. Wie unterscheidet sich das Leben hier von dem in Damaskus? Gibt es mittlerweile zwei Welten in Syrien?* Mettelsiefen: Das Land ist geteilt und je länger der Konflikt anhält, desto tiefer wird der Graben zwischen den Fraktionen. Homs ist ein gutes Beispiel, weil es die religiöse Zusammensetzung Syriens im Kleinen spiegelt – man könnte also sagen, was in Homs passiert, droht dem gesamten Land: Das ist ein schrecklicher Blick in die Zukunft. Die Rebellen stehen unter enormen Druck, vor allem militärisch. Es gibt keinen Konsens mehr in der Opposition, da viele Aufständische gemerkt haben, dass der Weg des gewaltsamen Widerstands ins Nichts führt. Jetzt ist die Opposition zerstritten zwischen denjenigen, die weiter kämpfen wollen, und denen, die einen längerfristigen Ansatz verfolgen.
*The European: Die Situation ähnelt der in Libyen nach dem Sturz Gaddafis. Der Wegfall des einenden Moments, der Kampf gegen das Regime, hat offenbart, wie zerstritten und uneins die Rebellen sind. Steht Syrien Ähnliches bevor, sollte Assad das Land verlassen müssen?* Mettelsiefen: Ich wünsche es dem Land nicht. Jetzt kommt es darauf an, wie tief Syrien in den Strudel der Gewalt hineingezogen wird. Damaskus und Aleppo werden sicher schneller wieder zurück zu einer gewissen Normalität finden. Losgelöst vom größeren geopolitischen Szenario denke ich, dass sich Syrien fangen wird. Aber es spielen zu viele Faktoren eine Rolle, um das mit Bestimmtheit sagen zu können.
„Religion hält die Rebellion am Leben“
*The European: Welche Rolle spielt der Glaube in diesem spezifischen Kontext?* Mettelsiefen: Die Bedeutung der Religion wird immer größer. Die Aufstände wurden von Anfang an aus zwei unterschiedlichen Strömungen gespeist. Einerseits gibt es die republikanisch-demokratischen Aktivisten, die man vom Tahrir-Platz in Kairo kennt. Die wollen schlicht nicht mehr von einem autokratischen Regime beherrscht werden. Die andere Strömung ist eindeutig religiös. Je länger der Konflikt andauert, umso schwieriger wird es für die Demokraten, sich durchzusetzen. Derzeit hält der religiöse Ansatz die Rebellion am Leben. *The European: Religion ist Treibstoff der Revolution?* Mettelsiefen: In harten Zeiten ist der Glaube besonders wichtig. In den Zentren der Revolution, Homs, Hama, Idlib, haben Scheichs eine Führungsrolle übernommen – alle religiösen Bewegungen waren bislang verboten. Die schon immer existierenden Muslimbrüder und Salafisten Syriens sehen in diesem Aufstand eine Möglichkeit, aus dem Untergrund zu treten. Es ist aber wichtig, diese von radikalen Gotteskämpfern zu unterscheiden. Dschihadisten sind, meiner Meinung nach, noch in der Minderheit. Je länger dieser Konflikt jedoch andauert, umso größer die Gefahr, dass solch radikale Kräfte an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig spielen externe Faktoren eine immer größere Rolle. Syrien ist Schauplatz eines innerislamischen Konflikts: zwischen den Schiiten in Syrien, Iran und der Hisbollah im Libanon auf der einen und den Sunniten in Katar und Saudi-Arabien auf der anderen Seite. Ohne diese Einflüsse von außerhalb wäre der Konflikt lange nicht so dramatisch und gefährlich. Was in Syrien passiert, hat das Potenzial, sich zu einem Flächenbrand auszubreiten.