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Außenpolitik > Joe Bidens zähe Suche nach dem running mate

Ansgar Graw über Joe Bidens zähe Suche nach dem running mate

Vize-Präsidenten in den USA haben einen tollen Titel – und eine nach der Wahl ziemlich nebensächliche Funktion. Schultern klopfen, Ausstellungen eröffnen, Spender umgarnen, den Präsidenten immer dann vertreten, wenn er besseres zu tun hat – John Nance Garner, von 1933 bis 1941 der Vize von Franklin D. Roosevelt, sagte, die Position sei „keinen Eimer warme Pisse“ wert.

Pressekonferenz im Weißen Haus: Ansgar Graw befragt Donald Trump während eines Besuchs von Angela Merkel (März 2017)
Pressekonferenz im Weißen Haus: Ansgar Graw befragt Donald Trump während eines Besuchs von Angela Merkel (März 2017)

Aus Gründen der Pietät entschärften das die damaligen Journalisten zu „warme Spucke“. Und John Adams, der erste Vice President in der Geschichte der USA, nannte es „das unbedeutendste Amt, das seit der Erfindung des Menschen geschaffen wurde.“

Da wusste der vormalige Lateinlehrer und Rechtsanwalt Adams noch nicht, dass er seinem damaligen Chef George Washington nachfolgen und von 1797 bis 1801 der zweite Präsident der Vereinigten Staaten werden würde. Von den 44 Personen, die bislang amerikanische Präsidenten wurden, bekleideten immerhin 14 zuvor den Stellvertreterposten, darunter Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt, Harry S. Truman, Richard Nixon und George H.W. Bush. Das macht einen Vize-Präsidenten eben doch wichtig: Er ist das „Ersatzrad“ (Garner) und kann später selbst in die erste Reihe treten, entweder durch die Kandidatur bei einer regulären Wahl – oder automatisch via Verfassung durch den Tod des gewählten Präsidenten. Zuletzt widerfuhr das 1963 Lyndon B. Johnson nach der Ermordung von John F. Kennedy.

Andere Präsidenten starben im Amt eines natürlichen Todes, so dass sie von ihrem Stellvertreter beerbt wurden – Calvin Coolidge etwa wurde zur Nummer 1, nachdem Präsident Warren G. Harding 1823 einem Herzinfarkt erlag. Harding war erst 57 Jahre alt.

Um so mehr erwarten die Amerikaner vom aktuellen Bewerber der Demokraten, Joe Biden, der keine drei Wochen nach der Wahl seinen 78. Geburtstag feiern möchte, dass er bei der Auswahl des running mate in eine andere Alterskohorte greift. Das spricht etwa gegen die Partei-Linke Elizabeth Warren, die immerhin 71 Jahre zählt. Etwas mehr Altersunterschied wünschen sich die Wähler mutmaßlich schon. (Vielleicht auch deshalb hält sich in Washington hartnäckig das Gerücht, dass der 74-jährige Trump in den nächsten Wochen anstelle seines bisherigen Vize Mike Pence, 61, einen jüngeren Ko-Piloten ausrufen wird.)

Biden hat seine Kriterien benannt

Biden muss aber noch andere Kriterien als dass der relativen Jugend an seiner Seite erfüllen. Er hat zwar, entgegen häufigen Berichten, nicht versprochen, eine schwarze Frau zu nominieren, sondern am 28. Juni im Gespräch mit einer Gruppe afroamerikanischer Journalisten eine Entweder-oder-Formulierung gewählt: „Für wen auch immer ich mich entscheide, vorzugsweise wird es jemand sein, der eine Farbe und / oder ein anderes Geschlecht hat, aber ich treffe diese Festlegung erst, wenn ich weiß, dass ich vollständig darauf vertrauten kann, dass die Person, mit der ich es zu tun haben werde, authentisch ist und ich mich darauf verlassen kann, dass wir gleich ticken.“

Nun werden genügend afroamerikanische Kandidatinnen genannt, die aus dem „Oder“ ein „Und“ machen würden. Doch „sleepy Joe“, wie Trump den Herausforderer gern bespöttelt, hat entgegen der Ankündigung seines Termins den 1. August als Datum für die Nominierung des Vizepräsidenschafts-Kandidaten verstreichen lassen. Warum?

Die Chancen der Kamala Harris

Am häufigsten genannt wird Kamala D. Harris, Senatorin aus Kalifornien und zuvor Staatsanwältin. Aber im Juni im parteiinternen Wahlkampf attackierte die 55-jährige Politikerin mit indisch-tamilischer Mutter und jamaikanischem Vater Biden heftig, weil er im Verlauf seiner politischen Karriere zu große Nähe gezeigt habe zu den (verstorbenen) Kongressabgeordneten James Eastland (Mississippi) und Herman Talmadge (Georgia), die der Politik der Segregation lange nahestanden. Dieser Stachel sitzt bei Biden bis heute – zumal Harris intern erklärt hat, sie sehe keinen Grund, ihre damalige Kritik zurückzunehmen. Harris gilt als ausgesprochen ambitioniert. Fürchtet Biden, dass sie vom ersten Tag im an ihrer Inszenierung als bessere Alternative arbeitet?

Als exzellenter Washington-Insider mit afroamerikanischem Hintergrund kommt Barack Obamas frühere nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice, 55, in Frage. Ihr Problem heißt Bengasi: In der Außenstelle der US-Botschaft in Libyen kamen am 9. November 2012 Botschafter Christopher Stevens und drei weitere Regierungsoffizielle bei einer Attacke von Islamisten ums Leben. Die damalige Außenministerin Hillary Clinton und Rice wurden von den Republikanern zu Mitverantwortlichen erklärt. Mindestens zehn Untersuchungs-Komitees des Kongresses konnten die Vorwürfe nicht erhärten – aber die Bengasi-Debatte würde mit Rice als running mate in den aktuellen Wahlkampf zurückkehren.

Karen Bass, Kongressabgeordnete aus Kalifornien, würde ebenfalls beide von Biden in Aussicht gestellte Kriterien erfüllen. Doch bei einem Auftritt bei der Eröffnung einer Einrichtung der Scientology Church 2010 in Los Angeles pries sie „das Ziel und die Hingabe“ der allgemein als Sekte betrachteten Organisation. Außerdem organisierte Bass in den frühen 1970er Jahren erkennbar sozialistisch inspirierte Jugendreisen nach Kuba. Der republikanische Senator Marco Rubio hat bereits die Brisanz dieser Vorgeschichte für den Wahlkampf mit der Äußerung skizziert, Bass würde im Fall eines Wahlsieges von Biden die „höchstrangige Castro-Sympathisanten in der Geschichte der US-Regierungen“.

Gehandelt wird nun wieder zunehmend Keisha Lance Bottoms, Bürgermeisterin von Atlanta (Georgia), die sich in den Protesten nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch weiße Polizisten in ihren Äußerungen fähig zeigte, die Black-Lives-Matter-Bewegung ernst zu nehmen, ohne es an Rückendeckung für die Polizeikräfte mangeln zu lassen. Was gegen Bottoms spricht: Sie ist recht neu im Amt und hat ansonsten keinerlei politische Erfahrung. In einer Fernseh-Debatte etwa mit Amtsinhaber Mike Pence hätte sie es daher schwer.

Ethnische Minderheit? Oder wenigstens LGBT?

Genannt werden auch Stacey Abrams, zehn Jahre lang Abgeordnete im Kongress von Georgia, oder Val Demings, die für Florida im US-Repräsentantenhaus sitzt. Aber beide sind der Öffentlichkeit nahezu unbekannt und haben wenig Routine gesammelt. Tammy Baldwin, zunächst Abgeordnete aus Wisconsin, ist Weiße, kommt aber im linken Parteilager an, weil sie seit 2013 als erste offen lesbische Senatorin ihren Bundesstaat im Senat vertritt. Ähnliches gilt für Kyrsten Sinema, bisexuelle Senatorin aus Arizona mit einer Vorliebe für bunte Kostüme. Aber das LGBT-Lager dürfte nicht so viele Stimmen beibringen wie ethnische Minderheiten. Darum käme grundsätzlich auch Michelle Lynn Luhan Grisham in Frage, lateinamerikanischer Abstammung und Gouverneurin von New Mexiko.

Doch die afroamerikanische Karte sticht in der aktuellen Rassismus-Debatte in den USA zweifellos zuverlässiger. Darum erwarten demokratische Strategen, dass Biden nach intensiven internen Debatten der letzten Wochen eine Personalie auswählt, die „schwarz“ und „Frau“ kombiniert. Zögert er noch lange, werden die Attacken aus dem Trump-Lager lauter: Wenn Joe Biden nicht einmal bei der Ernennung des running mate im Zeitplan bleibt, wie steht es dann um eilbedürftige Entscheidungen später im Oval Office?

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