Inseldenken
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Die Katastrophe von Fukushima hat in Deutschland politisch mehr bewirkt als in Japan. Während wir uns von unseren Ausstiegsplänen distanziert haben, geht ihr mit Riesenschritten voraus.

Als Japan im September 2012 entschied, schrittweise aus der Atomenergie auszusteigen, hatten die Entscheidungsträger die Politik Deutschlands und der Schweiz im Hinterkopf. Außerdem zeigten Umfragen, dass die Japaner gegen Atomkraft sind. Diese Entscheidung wurde drei Monate später allerdings auf Eis gelegt, als im Dezember die Mitte-Links-Regierung ab- und die konservativ-liberale Demokratische Partei an die Macht gewählt wurde. Sind die Japaner schizophren? Natürlich nicht. Aus ihrer Sicht ist Deutschland ein Pionier, wenn es um erneuerbare Energien und die Reduzierung des CO₂-Ausstoßes geht. „Wir wollen von ihnen lernen und dann aufholen“, brachte es ein japanischer Spitzenpolitiker kürzlich auf den Punkt. Was hat sich also geändert in den vergangenen paar Monaten, wenn dieselben Menschen, die zunächst gegen Atomkraft gestimmt haben, eine Partei wählen, die sich für diese Technik ausspricht? Die Antwort: nicht viel. Viele Bürger sind mittlerweile für eine gemächlichere Variante der alten Ausstiegspläne. Natürlich weisen viele auf die strukturellen Unterschiede zu Deutschland hin, das anders als Japan kein Inselstaat ist und dementsprechend per Pipeline und Stromnetz mit den benachbarten Ländern vernetzt ist. Deutschland hat also den Vorteil, dass es im Notfall relativ kostengünstig Strom und Gas importieren kann, während Japan diese Option naturbedingt nicht hat. Doch all dies bedeutet nicht, dass die Japaner die Risiken der drastischen Abhängigkeit von nuklearem Strom vergessen hätten. Die Erinnerungen an die Katastrophe von Fukushima im März 2011 sind immer noch frisch. Warum hat Japan in den letzten 50 Jahren seinen Kurs nicht verändert, während Deutschland eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen hat, die schließlich dafür gesorgt haben, das dort der weltweit dynamischste Markt für erneuerbare Energien entstanden ist? Diese Frage stand in den Monaten nach dem Unglück im Raum. Ein einziger Urnengang, das ist den Japanern mittlerweile klar, kann ein Umdenken in der Energiepolitik jedenfalls nicht bewirken.