„Berlusconi hat regiert wie ein moderner Faschist“
Paolo Flores d'Arcais gilt als einer der Vordenker der italienischen Linken. Mit Martin Eiermann sprach er über Berlusconis Demokratieverständnis, moderne Wutbürger und den Autismus religiösen Denkens.

*The European: Berlusconi hat die italienische Politik über zehn Jahre lang dominiert. Sie waren von Anfang an sein politischer Gegner. War das manchmal Sisyphusarbeit?* Flores d'Arcais: Ja. Aber wir sollten Albert Camus nicht vergessen: In seinem Essay "Der Mythos des Sisyphus" beschreibt er einen glücklichen Mann. *The European: Welche Antworten hatte die italienische Linke parat? Hat die Opposition resigniert oder dagegen gehalten?* Flores d'Arcais: Die offizielle Linke ist auf dem Weg in Richtung Resignation. Die Demokratische Partei hat längst aufgehört, eine "linke" Partei zu sein; das gleiche gilt für kleinere Parteien, die sich zwar kommunistisch nennen aber inzwischen zu Werkzeugen der privilegierten parteipolitischen Elite geworden. Die wirkliche Opposition der letzten zehn Jahre war in der Zivilgesellschaft zu finden: Die Menschen sind auf die Straße gegangen, mehr als eine Millionen waren es bei der "girotondi"-Kampagne, bei Protesten gegen Berlusconi oder Studentendemos. Die einzige Institution der Linken, die noch wirkliche Oppositionsarbeit leistet, ist die Metallarbeitergewerkschaft FIOM. *The European: Einen Ihrer Artikel zur italienischen Politik beenden Sie mit dem Satz: "Wann, wenn nicht jetzt?" Wie wichtig ist diese Ungeduld?* Flores d'Arcais: Das kommt darauf an. Ungeduld in Krisenzeiten ist sehr wichtig, denn wenn man die Zeit einfach verstreichen lässt, kann die Situation sehr schnell umschlagen und reaktionäre Politik begünstigen. Das ist aktuell die Situation in Italien. Berlusconi hat das Land regiert wie ein moderner Faschist. *The European: Lässt sich diese Ungeduld vereinbaren mit dem Bekenntnis zu Diskussion und Konsensfindung?* Flores d'Arcais: Warum nicht? Prinzipiell kann eine Demokratie sowohl authentisch als auch effektiv sein. Pierre Mendes-France, der für mich ein Vorbild im Bezug auf demokratische Politik ist, hat Frankreich innerhalb weniger Wochen zum Frieden mit Vietnam geführt. *The European: Reform oder Revolution? Wie stehen Sie zu dieser ewigen Debatte?* Flores d'Arcais: Die Linke muss reformorientiert denken. Niemand weiß, wie eine Revolution gegen den Kapitalismus aussehen könnte, oder welche Konsequenzen sie haben würde. Aber wenn wir über Reform reden, müssen wir uns Gedanken machen, wie anhaltender Fortschritt definiert werden kann: Fortschritt kann und muss sehr radikal sein. Eine globale, durch toxische Wertpapiere hervorgerufene Finanzkrise muss dadurch bekämpft werden, dass man die Banken stark reguliert anstelle sie zu belohnen. Und solange die Macht des Kapitals weltweit reicht, müssen die Reformen auch darauf ausgerichtet sein, die Rechte der Gewerkschaften und den Sozialstaat global zu stärken. Wir müssen Importzölle auf Waren aus den Ländern erheben, die sich diesen Reformen widersetzen. Wir müssen Transparenz fordern, Steueroasen schließen und neue Wege suchen, um Geldwäsche zu bekämpfen.