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> Integration in der EU

Die Kraft der Krise

Am Anfang jeder Vertiefung europäischer Zusammenarbeit stand eine Krise – so ist es auch dieses Mal. Man beachte: Das Problem ist nicht die gemeinsame Währung.

The European

Eine Erkenntnis können wir aus den letzten Jahren der Krise in Europa ziehen: So geht’s nicht weiter. Umso wichtiger ist es, den nächsten notwendigen Schritt der Integration zu tun. Es geht um eine „Relance européenne“ – die dritte. Und gerade in der jetzigen Situation liegt dazu eine große Chance. Geschichte wiederholt sich nicht; aber sie verläuft in Zyklen. Offenbar stehen wir am Beginn eines neuen. Bisher hat es alle 30 Jahre einen neuen Schub in der Integration Europas gegeben. Den Beginn markierten die 1950er-Jahre mit der Gründung der Kohle- und Stahlgemeinschaft (EGKS) als Grundstein der funktionalistischen Integration und mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Römischen Verträge. Die Wirtschaft sollte der Motor der Integration sein. Eine Generation, also 30 Jahre später war die Zeit wiederum reif für einen neuen Fortschritt, diesmal auf intergouvernementaler Ebene. Angefangen mit der Genscher-Colombo-Initiative (1981/82), über das Schengener Abkommen (1985), die Einheitliche Europäische Akte (1986) bis zum friedlichen Ende des Kalten Krieges und damit der europäischen Teilung (1989) und dem Beschluss zur Gründung einer Europäischen Union.

Mit mehr Integration aus der Krise
Beide Integrationssprünge entstanden aus Krisen. Europa schien handlungsunfähig, unbeweglich, selbstbezogen und vor dem Scheitern. Ebenso ist die Situation heute mit Schuldenkrise, Wirtschaftskrise und scheinbar politischer Selbstblockade. Das europäische Projekt ist wie ein Fahrrad: Hält es an, fällt es um. Deswegen ist jetzt ein beherzter Tritt in die Pedale notwendig, um der dritten „Relance européenne“ den nötigen Schwung zu geben. Das bedeutet dann logischerweise auch: Nach der funktionalen Integration der 1950er-Jahre, nach der intergouvernementalen Integration der 1980er-Jahre ist es in den 2010er-Jahren so weit, eine föderalistische Integrationsetappe zu wagen. Trotz allen Kassandrarufen und Untergangsszenarien ist dazu aktuell die beste Gelegenheit. Die Euro-Krise zeigt schließlich: Das Problem ist nicht die Währung. Der Euro macht nur die wirtschafts- und finanzpolitischen Defizite in den überschuldeten Ländern der Gemeinschaft schonungslos deutlich. Früher konnte die Währung als politisches Instrument der Regierungen eingesetzt werden, um die eigene nicht wettbewerbsfähige Politik zu kaschieren. Das ist nicht mehr möglich, Währungs- und Wechselkursfragen sind nicht mehr national zu bestimmen. Das gilt übrigens auch für Länder, die nicht zum Euro-Raum gehören, aber mit festen Wechselkursen an den Euro gebunden sind. Wenn Finanz- und Währungsfragen faktisch schon längst nicht mehr national entschieden werden, dann sollte auch konsequenterweise dieser Bereich zu einer supranationalen europäischen Sache gemacht werden. Das wäre nicht nur ehrlich, sondern auch transparent und für jeden Bürger nachvollziehbar. Ein weiterer Grund ist der Mangel an für alle verbindlicher politischer Durchsetzung der gemeinsamen Regeln: Der Ansatz einer europäisierten Haushalts- und Finanzpolitik war zum Zeitpunkt des Beschlusses zur Euro-Realisierung Anfang der Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts noch zu weit gehend. Die Umsetzung der zweiten „Relance“ in den 1980er-Jahren war ja gerade erst abgeschlossen. Jetzt sind nicht nur die anscheinend obligatorischen 30 Jahre seit den letzten großen Integrationssprüngen vergangen, es setzt sich auch bei der Mehrheit der Europäer eine Erkenntnis durch: Zu einer gemeinsamen Währung bedarf es nicht nur einer unabhängigen Zentralbank und Verträgen auf dem Papier, sondern auch einer unabhängigen supranationalen politischen Instanz, welche die Regeln auch durchsetzt. Momentan ist das nicht so, sondern letztlich entscheiden nationale Interessen und Koalitionen im Europäischen Rat über die Richtung der Währungs- und Schuldenpolitik. Da beide aber faktisch keine nationalen Angelegenheiten mehr sind, müssen sie auch nicht länger intergouvernemental, sondern föderal bzw. supranational entschieden werden.
Es mangelt an Demokratie
Der beste Beleg für diese These sind die vergangenen Monate. Durch die Flucht einiger Euro-Staaten unter die verschiedenen Rettungsschirme und - fonds ist für alle offensichtlich, dass es in einer Währungsunion zwangsläufig zu einer Abgabe an nationaler Souveränität in Währungs- und Haushaltsfragen kommt. Genau das war ja auch mit dem Beschluss zur Schaffung des Euro gewollt. Aber es sind momentan nicht demokratisch legitimierte supranationale Institutionen, sondern EFSF, ESM und IWF, die die Aufgabe übernehmen, politische Grenzen, Vorschriften und Leitlinien in der Finanzpolitik der EU-Staaten zu definieren. Allerdings geht das alles sehr kompliziert und intransparent vonstatten. Fazilitäten, Mechanismen, Fonds und „Schirme“ sind die undurchsichtigen Nothilfen für mangelnde politische supranationale Konsequenz und Geradlinigkeit. Die Währungsunion ist jedoch eine originär politische Entscheidung und eben nicht aus Handel und Wirtschaft in Europa quasi automatisch entstanden. Wo Transparenz und Nachvollziehbarkeit fehlen, da gehen auch die Akzeptanz der Menschen und die demokratische Legitimität verloren. Gerade eine Demokratie auf europäischer Ebene braucht klare Regeln und konsequente Zuweisung, das heißt eben auch Trennung, von nationalen und supranationalen Kompetenzen. "Die „Zukunftsgruppe“ von zehn europäischen Außenministern hat das offenbar erkannt und ihre Initiative kann hierfür sogar bereits der Ausgangspunkt sein(Link)":http://diepresse.com/home/politik/eu/767263/Umbauplan-fuer-einen-EUStaat?_vl_backlink=/home/index.do. Mit dem Start einer dritten „Relance européenne“ sollte also gerade jetzt die Chance genutzt werden, die europäische Integration in die nächste politische, föderale Phase zu leiten, sie verständlich und nachvollziehbar zu machen und damit auch die europäische Idee und Demokratie zu stärken, die dann nicht vor ihrem Untergang stehen, sondern vor einer neuen Chance.
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