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> Ich bin ein Marinesoldat, holt mich hier raaaaauuuuus!

Liebes Ritual

Unser Kolumnist musste in seinem Leben auch schon durch das eine oder andere fragwürdige Ritual. Und findet es schade, dass die Bundeswehr nun darauf verzichten soll.

The European

HÖREN SIE – vorweg möchte ich meine Bestürzung über den dramatischen Tod der beiden Marinesoldatinnen der Gorch Fock und mein Mitgefühl für die Angehörigen zum Ausdruck bringen. Dieser Satz war übrigens ein Ritual. Zugegebenermaßen: kein fragwürdiges. Weil auf dem einstigen Vorzeige-Schulschiff der deutschen Marine angeblich "menschenverachtende Bräuche“ eingerissen sind, steht also das Ritual an sich auf dem Prüfstand. Besonders grotesk ist, dass gerade jene Medien, die mit Begeisterung über Schafshoden runterwürgende, in Kakerlaken badende und mit Stromschlägen gemarterte F-Prominente im Dschungelcamp berichten und ihre eigene Auflage daran befeuern, mit Entsetzen und gekünstelter Angewidertheit auf die traditionelle Äquatortaufe bei der Marine reagieren. Sicher ist so eine Äquatortaufe, wo Soldaten in fiesem Sud, der oft nicht nur nach Kotze aussieht, baden, Tabascodrinks exen und unter johlender Menge nackt mit Mehl bestäubt und über Deck gejagt werden, für uns Außenstehende – nun ja – seltsam. Wahlweise: befremdlich. Zumal diese launige Show gemeinerweise nicht live auf RTL übertragen wird – und somit also als geheim und deshalb höchst verdächtig gelten muss.

KT als Don Quixote
Man braucht nicht die Passageritualstudien des Arnold van Gennep zu kennen, um zu wissen, dass solche Bräuche nicht aus üblem männerbündlerischem Sadismus existieren, sondern eine wichtige Funktion in Gemeinschaften einnehmen. Und zwar nicht nur in launigen Eingeborenenstämmen, sondern nach wie vor auch in unserer langweiligen, aufgeklärten Gesellschaft. In der Leipziger Volkszeitung erklärte dieser Tage der Psychologe und Trauma-Experte Christian Lüdke, dass "Mutproben den Zusammenhalt stärken und der Vertrauensbildung dienen” und deshalb der vom Bundesverteidigungsminister angekündigte Kampf gegen derlei Auswüchse der Kameradschaft jenem gegen Windmühlen gleiche. Ich bin schon gespannt, wie unser Freiherr sich als Don Quixote so machen wird. Es war voraussehbar, dass gerade jene, die noch nie eine Kaserne von innen gesehen haben, am allerbesten wissen, wie so ein Soldatenleben auszusehen hat. Ich möchte nicht wissen, wie viele Mercedes-Sterne der eine oder andere linke Gschaftlhuber, der nun besonders eindringlich vor archaischen Relikten warnt, in seinem Leben schon abgerissen hat, um sich bei den Genossen zu beweisen. Als politisch aufgeschlossener Mensch bin ich früher in Hamburg gerne zum 1. Mai in die Schanze marschiert, um das Schauspiel dieser linken Mutprobe, die da zwischen brennenden Barrikaden aus guter alter Tradition abgehalten wird, mitzuverfolgen. Der Unterschied zu dem, was in Männerbünden, Internaten, Einheiten und Freimaurerclubs geschieht, ist, dass es bei Krawalltagen wirklich gefährlich werden kann und es den Steuerzahler Millionen für Überstunden der Einsatzkräfte und ihre fachgerechte Verarztung kostet. Bei den einen Riten schluckt man eben rohe Schweineleber, bei den anderen inhaliert man Tränengas. Ich gebe zu, dass ich nicht alles, das ich besonders im Internat und auch in manchem schrecklichen Geheimbund, dem ich angehöre, zur Aufnahme über mich ergehen lassen musste, unbedingt wiederholen muss. Das meiste davon würde ich aber ungern missen. Zumindest im Nachhinein.
Mehr Konzentration, bitte!
Dazu kommt, dass man, wenn man jeden dummen Spruch in der Dusche gleich als "sexuelle Belästigung“ bewertet, wie nun im Rahmen der Gorch Fock mancher Kameradenwitz zum Übergriff hochgejazzt wird, sich fragen muss: In welchem Verhältnis steht das eigentlich gegenüber dem, was hinter Klostermauern und im Odenwäldchen so getrieben wurde? Stilisiert man da nicht aus reiner Lust an der Skandalisierung Dinge deutlich zu hoch? Und verharmlost umgekehrt die eigentliche Perversion? Wie inzwischen feststeht, hat der Tod der beiden Soldatinnen mit jenen Ritualen nichts zu tun. Deshalb wäre es schön, wenn man sich auf die Aufklärung dieser Fälle konzentriert. Und es den Soldaten selbst überlässt, auf welche Weise sie zu einer eingeschworenen Truppe werden, die im Ernstfall zusammenhält und funktioniert. Wenn unbedingt etwas überprüft werden muss: Wie wär's mit dem ritualisierten Aufschrei, der dauernd erschallt, wenn es um die Institution Bundeswehr geht?
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