Ich arbeite nur noch neun Monate im Jahr und es läuft besser als jemals zuvor
Manuel Spors hat ein kleines Unternehmen aufgebaut, das läuft, seitdem er seine Arbeitszeit reduziert hat. Ein Autounfall und ein Burnout waren nötig, um ihn zu der Erkenntnis zu bringen, dass Erfolg nicht nur mit der Menge der Arbeit zusammenhängt, die er erledigt.Von Manuel Spors

2018 arbeitete ich Vollzeit in einem Maschinenbauunternehmen und war nach der Arbeit noch selbstständiger Event- und Hochzeitsfotograf. Das hieß, wie bei vielen, die sich eine Selbstständigkeit aufbauen: keine Nächte und keine Wochenenden. Regelmäßig saß ich von 6:00 bis 23:00 Uhr im Büro, antwortete auf Mails und Social-Media-Feeds, bis der Mond unterging, oder kam nach Mitternacht völlig übermüdet von weit entfernten Lokalterminen nach Hause. Bis zum 9. Dezember 2018, als ich bei so einer Rückfahrt mein Auto frontal in eine Verkehrsinsel steuerte.
Der Unfall und der im Anschluss diagnostizierte Burnout machten mir sehr drastisch klar: So würde ich meine erträumte Unabhängigkeit nicht erreichen. Nicht nur gesundheitlich. Selbst in der Arbeitszeit hatte ich kaum noch Energie für neue Ideen gefunden, geschweige denn den Antrieb, Dinge einfach mal auszuprobieren oder Fertiges auf absolute Perfektion zu trimmen. Ich war wie in Trance, nur noch am Abwickeln. So hatte ich nie arbeiten wollen.
Mein Ziel, erkannte ich während der folgenden Wochen zwangsverordneter Bettruhe, waren auch nicht Tonnen von Geld, koste es, was es wolle. Mein Ziel war eine gesunde Aufteilung von Arbeits- und Freizeit, die mir bestmögliches Arbeiten erlaubte. Ein Arbeiten, das Spaß machte.
Nach viel Recherche setzte ich mir daher das Ziel: neun Monate im Jahr arbeiten und drei Monate Zeit haben, anderes zu tun oder einfach zu entspannen. Von der reinen Jahresarbeitszeit her lässt sich dieses 9-zu-3-Modell mit der 4-Tage-Woche vergleichen. Aber insbesondere für Selbstständige und für KMU ist es praktischer, da dort viel projektbasiert gearbeitet wird. In Projektzeiträumen hängt das Damoklesschwert ständiger Erreichbarkeit über einem und sehr häufig reicht die Selbstdisziplin einfach nicht aus, am Freitag Computer und Diensthandy konsequent auszulassen. Fährt man dagegen für drei Monate am Stück weg, sinken Druck und Drang, E-Mails zu checken, sehr viel entschiedener.
Im Grunde ist dieses Modell auch einfach umzusetzen, denn gerade als Selbstständiger entscheidet man ja selbst, wann man geöffnet hat und wie viel man arbeitet. Du möchtest weniger arbeiten? Kein Problem, gib Kunden und Partnern früh genug Bescheid und arbeite halt weniger. Aber, natürlich, der Knackpunkt bleibt das Geld.
Als ich mich für die 9-zu-3-Aufteilung entschied, hatte ich schon gekündigt und war Hochzeitsfotograf mit einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro bei wöchentlich oft immer noch 80 Stunden Arbeit. Ich hatte also weder genug Umsatz noch genug Rücklagen, um einfach so weniger arbeiten zu können. Ich musste mein ganzes Arbeitsverhalten ändern, und genau das tat ich. Konkret änderte ich drei Punkte:
1. Persönlich, authentisch
Schon vorher hatte ich auf ein Personal Branding gesetzt, aber das intensivierte ich jetzt. Personal Branding im Geschäft bedeutet, beim Kommunizieren mit Kunden und Partnern die eigene Persönlichkeit nicht zu verbergen oder künstlich abzuändern. Ganz im Gegenteil: Man stellt sie möglichst authentisch in den Vordergrund, sodass der Kunde nicht mehr in erster Linie das Produkt oder die Dienstleistung kauft. Vielmehr „kauft“ er die Person, die beides anbietet.
Das Problem an Geschäftsverhalten, das der eigenen Persönlichkeit widerspricht, ist nämlich: Der Kunde merkt es. Er merkt die Diskrepanz, er merkt die Lüge und entscheidet instinktiv für sich: Wo Selbstbetrug herrscht, ist der Betrug nicht weit. Von Menschen, die lügen, wollen wir nichts kaufen.
2. Hochpreisig verkaufen
Dieses intensivierte Personal Branding erlaubte mir, meine Preise zu erhöhen. Wenn der Kunde vor allem den Anbieter haben möchte und nicht in erster Linie ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung, lässt er sich von Preisvergleichen viel weniger abschrecken.
So gewann ich die meiste Zeit, denn natürlich brauchte ich mit höheren Preisen weniger Kunden, um den nötigen Umsatz einzufahren. Meine Akquise wurde weniger gehetzt und konnte gezielter auf Wunschkunden erfolgen. Außerdem hatte ich mehr Zeit, mich um die akquirierten Kunden zu kümmern und meine Arbeitsqualität zu steigern.
3. Ungeliebtes abgeben, Geliebtes priorisieren
Die so gewonnenen Kapazitäten erhöhte ich dann noch einmal, indem ich alles, was ich nicht selbst tun musste und vor allem nicht tun wollte, abgab. Gerade für ein Geschäft, das auf Personal Branding setzt, ist es äußerst wichtig, dass der Kunde die Freude und Leidenschaft spürt, die man in seine Arbeit steckt. Das fällt schwer, wenn man einen Gutteil davon nicht mag. Muss etwas Ungeliebtes gemacht werden, warum es also nicht abgeben an einen Mitarbeiter oder Kooperationspartner, der es lieber, vielleicht sogar gern und damit sehr wahrscheinlich auch besser macht?
Im Gegenzug hatte ich noch mehr Zeit für mein eigentliches Kerngeschäft: also nicht nur etwas, das ich gern tat, sondern auch das, was den direktesten Umsatz brachte.
4. Erfolgreich durch mehr Freizeit
So kam ich innerhalb von drei Jahren schrittweise zu meinen neun Monaten arbeiten und drei Monaten frei – inzwischen auch mit einem kleinen Team, für die das selbstverständlich ebenso gilt. Beides aber wurde nicht nur durch die drei obigen Änderungen möglich, sondern auch und bei weitem nicht zuletzt durch einen vierten: die Freizeit selbst.
Wir kamen derart gestärkt und positiv aus unseren langen Urlauben zurück, mit so vielen neuen Ideen, Vorhaben und mit einem Umsetzungswillen, dass sich unsere Performance in den Arbeitsmonaten noch einmal wie durch Zauberei verbesserte. Das Ergebnis sind 200.000 Euro Umsatz im Jahr, Tendenz steigend, bei gleichbleibender Arbeitszeit.
Drei Monate Urlaub im Jahr bedeuten also keineswegs, dass ich weniger produktiv bin als vorher. Ganz im Gegenteil: Nachhaltige Produktivität und Freizeit bedingen sich gegenseitig. Das eine darf das andere nicht zu sehr überschatten oder beide verlöschen. Sie brauchen ein gesundes Verhältnis zueinander. Das erkannt zu haben und anwenden zu können, ist zweifellos die bisher wichtigste Erkenntnis in meinem Leben.