„Niemand wird als Altruist geboren“
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Die Gesellschaft lebt von der Beteiligung des Einzelnen. Das gilt in der Politik genauso wie im Sozialbereich. Inanna Fronius und Martin Eiermann sprachen mit Peter Tauber, Mitglied des Unterausschusses "Bürgerliches Engagement", über die Zukunft des Zivildienstes und die Chancen des Netzes als Motor für politischen Diskurs.

*The European: Der Verteidigungsminister hat eine Aussetzung der Wehrpflicht angeregt. Damit würde auch der Zivildienst wegfallen. Ist das ein Todesstoß fürs Sozialsystem?* Tauber: Die Debatte über die Zukunft der Wehrpflicht muss aus meiner Sicht eine rein sicherheitspolitische sein. Wir können nicht die Wehrpflicht aufrechterhalten mit der Begründung, wir brauchen die Zivis. Von daher müssen wir erst einmal klären, ob die Wehrpflicht notwendig ist, um unsere sicherheitspolitischen Ziele und Aufgaben erfüllen zu können. Für unser Sozialsystem waren die Zivildienstleistenden ohne Frage eine Bereicherung. Deswegen müssen wir überlegen, wie es gelingen kann, durch die bereits existierenden Jugendfreiwilligendienste bzw. einen neuen bundesweiten Freiwilligendienst diese Lücke zu schließen. *The European: Glauben Sie, dass unsere Sicherheit in Afghanistan verteidigt wird?* Tauber: Der Einsatz hat seine Berechtigung, sonst wären wir nicht da. Und wir machen das sowohl aus Eigeninteresse als auch, weil wir den Afghanen helfen wollen. Im Vordergrund stehen für uns allerdings unsere eigenen sicherheitspolitischen Interessen. *The European: Welche Reformen müssen denn im Zuge einer Wehrpflichtreform losgetreten werden?* Tauber: Mehr als 60 Prozent der Deutschen würden einen sozialen Pflichtdienst für alle jungen Männer und Frauen begrüßen. Aber Sie werden keine 60 Prozent der Bundestagsabgeordneten finden, die dafür die Hand heben. Also müssen wir die Debatte anders führen und fragen: Wie müssen Anreize aussehen, damit junge Menschen sich künftig freiwillig für einen solchen Dienst entscheiden? Das ist schwierig unter zweierlei Gesichtspunkten: Erstens haben wir keine klare Zuständigkeit – für den Zivildienst war der Bund zuständig, für die Freiwilligendienste sind die Länder zuständig. Wenn der Bund also deutlich mehr Geld für die Freiwilligendienste zur Verfügung stellt, dann muss er auch die Möglichkeit haben, die Verwendung dieser Mittel zu kontrollieren. Und die zweite Herausforderung ist natürlich, dass wir einen Übergang schaffen. Wenn die Wehrpflicht im nächsten Jahr wegfällt, dann brauchen wir eine schnelle Lösung für den "Zivildienstersatz". *The European: Wie weit bringen uns Appelle für gesellschaftliches Engagement?* Tauber: Niemand kommt auf die Welt und sagt altruistisch denkend: "Ich verwende einen Teil meiner Energie und Kraft für alle anderen." Die Frage ist also, wie kann man vermitteln, dass es sich lohnt, sich ehrenamtlich zu engagieren? Wie muss ein Lerndienst organisiert sein, damit junge Menschen einen Zugang haben? Die Anrechnung zusätzlicher Wartesemester ist eine Idee, aber auch Zusatzqualifikationen können ein Ansatz sein. Ein Beispiel ist die Rettungssanitäterausbildung parallel zum Medizinstudium. Oder der Führerschein, den man während des Freiwilligendienstes machen kann. Das muss zertifizierbar sein, es muss die sonstige Ausbildung verkürzen können. Oder die Chancen auf dem Arbeitsmarkt werden verbessert, weil man Sozialkompetenzen erwirbt, die bei der Jobsuche helfen.