Das Geschwätz von gestern
Für uns Zeitgenossen ist es alltägliches Geschwätz, für unsere Nachfahren ist es Geschichte. Können wir kommenden Generationen noch als Ideal dienen, wenn wir jede Verfehlung festgeschrieben halten?

Wenn unsere Gegenwart Vergangenheit geworden sein wird, dann wird unser heutiger Alltag, der dann weit zurückliegt, kein Geheimnis mehr sein. Das wird einen größeren Unterschied für das Selbstverständnis der Gesellschaft machen als die Geheimnislosigkeit der Gegenwart, die wir jetzt schon erleben. Die Tatsache, dass die Geheimnisse des Alltags heute medial aufgezeichnet werden, das heißt, dass sie in Schrift und Bild tatsächlich auf Dauer gestellt, also buchstäblich festgehalten werden, ist für die Gegenwart noch nahezu unerheblich. Jedes heute in der Zeitung, im Fernsehen oder im Internet verbreitete Wort über die alltäglichen Ereignisse bei diesem und jenem Menschen ist in der Gegenwart nicht mehr als Geschwätz, ein allgemeines Rauschen, wie das Gehörte und Weitererzählte im Dorf, in der Nachbarschaft, am Stammtisch. Auch in früheren Zeiten hatte das Gerede seine Dauer, und es wurde nicht vergessen, solange die Beteiligten noch im Alltag zusammentrafen.