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> Geschlecht, Gender, Gedöns

Der neue Mensch

Ein Handbuch der politischen Begriffe zeigt: Der neue Mensch und die neue Gesellschaft sind da. Wenn Philosophie zur Ideologie wird, schweigt das Denken.

The European

Der Verlag C. H. Beck ist eine seriöse Adresse, die „beck’sche reihe“ ein Ausbund des Soliden. Wenn dort ein „zuverlässiges Nachschlagewerk auf dem neuesten Stand der Forschung“ erscheint, das sich an einen „breiten Benutzerkreis“ wendet und von „namhaften deutschen und internationalen Autoren“ verfasst wurde, haben wir es mit keinem Machwerk zu tun. Vielmehr gibt das Handbuch "„Politische Theorie und Politische Philosophie“":http://www.lsw.beck.de/productview.aspx?product=30482 präzise den Mainstream in Politologie und Philosophie wieder. Darum ist das Handbuch ein authentischer Blick in die Abgründe des gegenwärtigen Kulturkampfes.

Fremdwort und Neuschöpfung laden zum Mutantentanz
Dass der Leser Benutzer sein soll, Anklicker und Weiterleiter und Verwerter, ist bezeichnend. Zu lesen gibt es auf den 350 Seiten kaum etwas. Das Deutsch ist miserabel. Substantiv wird an Substantiv gereiht, Fremdwort und Neuschöpfung laden zum Mutantentanz. Greifen wir hinein ins tote Begriffsgeklapper: „Während die Bereiche von Politik und Ökonomie einen Prozess der Entfamiliarisierung und Entpersonalisierung, der Anonymisierung und Artifizialisierung durchlaufen, erfährt die Institution der Familie infolge des Verlusts ihrer politischen und wirtschaftlichen Funktionen zugleich mit ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung einen Prozess der Privatisierung im Sinne von Intimisierung, Sentimentalisierung und Naturalisierung.“ So steht es im Eintrag „Geschlecht“, so brach es aus einer Professorin für Philosophie hervor. Einen breiten Leserkreis schreckt derlei Konsonantenstaub gewiss ab, mit Nutzern mag es anders stehen. Überhaupt ist das Manual seltsam fixiert auf Geschlecht und Gender. Offenbar sind auf diesen Feldern akademische Meriten und universitäre Pfründe leicht zu haben. Unter dem "Stichwort „Feminismus“(Link)":http://www.theeuropean.de/debatte/5863-gendering-und-weltfrauentag werden „männliche Normalbiografien“ ebenso kritisiert wie die „problematischen Effekte des Androzentrismus“; das mag noch angehen. Kurios wird es, wenn unter der Überschrift „Familie“ mürrisch gemahnt wird, „in vielen Familien wird von Mädchen noch immer erwartet, dass sie sich stärker an der Hausarbeit beteiligen als ihre männlichen Geschwister“. Dort heißt es übrigens auch mit Mut zur Sprachverrenkung, „in der Familie wird (…) die Fortpflanzungsarbeit geleistet“. Pardon, müsste das nicht „angewandte Intimisierung“ heißen? Und wer legt die horizontalen Arbeitsbedingungen fest, wer regelt die Löhne? Eine Gewerkschaft für Familienarbeit und Reproduktionsgewerbe?
Die Sprache rebelliert
Fabelhaft fantastisch ist auch die hyperkorrekte Übersetzung von _suum cuique_ mit „Jedem das Seine bzw. Jeder das Seinige“. Ja, der gute alte Platon sah den Feminismus voraus. Doch die Sprache rebelliert und treibt den Furor ins Groteske: Es müsste doch wohl „Jeder das Ihrige“ heißen. Oder soll die Frau bekommen, was dem Manne frommt? Ist alles, alles Reden männlich codiert? Der Artikel „Herrschaft“ wiederum mündet holterdiepolter in den Hinweis auf „jahrtausendelange männliche Dominanz“ – war es nicht aberjahrtausende, zweihundertjahrtausende mindestens? Der Eintrag „Identitätspolitik“ gewinnt die Krone der Anmaßung. Eine Geschlechterforscherin benennt als drängende gesellschaftliche „Aufgaben“ – wohlgemerkt: nicht als Probleme oder Herausforderungen, sondern als Aufgaben im Sinne einer To-do-Liste: „Recht auf Adoption für Lesben und Schwule, Gewährung des Rechts auf freien Zugang zu Reproduktionsmedizin ebenso wie zu medizinischen Technologien der Geschlechtsangleichung“. Das alles kann und darf man fordern, wenn man Partei ist im Kulturkampf um den neuen, den nach-abendländischen Menschen. Diese Agenda aber zu bemänteln als Sachinformation, sie hineinzuschmuggeln in ein angeblich „umfassendes Handbuch“ und „zuverlässiges Nachschlagewerk auf dem neuesten Stand der Forschung“, ist mehr als Chuzpe, ist jene Art von Dreistigkeit, die nur im Vollgefühl der Mehrheitsmeinung sich so triumphal spreizt. Der prinzipienarme Raum der guten Meinung wird ausgeschritten, weil diese Meinung sich bereits siegreich wähnt und ihren Wandel zur Ideologie schon hinter sich hat. Allemal erhellend ist das Büchelchen: Der neue Mensch ist da. Er lebt, waltet, wütet in der politischen Philosophie. Pfui über ein tintenklecksendes Säkulum.
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