Alle Jahre wieder
Das ganze Jahr graust es mir vor dem unterirdischen Krippenspiel in der Dorfkirche. Statt sich den alljährlichen Ritualen hinzugeben, muss die Kirche endlich die großen Fragen beantworten.

Schon seit Wochen beschleicht mich dieser Würgereiz. Der Würgereiz, wenn ich an die Christmette denke. Krippenspiel. Schon wieder. Es wird grottenschlecht sein. Wie die vergangenen dreißig Jahre auch (selbst als der Verfasser dieser Zeilen selber noch mitgespielt hat). Die Kirche ist abgedunkelt, man drückt die dicken Daunen so gut es geht in die Kirchenbank und nimmt eine halb seriöse Haltung ein, um ein Nickerchen machen zu können. Dabei kommt einem zupass, dass, anders als sonst das ganze Jahr über, die Bänke so dicht bepackt sind, dass man nicht nach rechts oder links aus dem Gleichgewicht umfällt, wenn man einschläft. Einmal (!) in den dreißig Jahren gab es eine Szene: Alles räkelte sich wie normalerweise zurecht zum Pennen während des Krippenspiels (Ausnahme sind immer die Eltern, Großeltern der Protagonisten, mit den wässrigen Augen, die beispielsweise ihrer Enkelin hingebungsvoll und gerührt dabei zuschauen, wie ihr die Jesuskinderbabypuppe zu früh unter dem Gewand herausgefallen kam. Alles saupeinlich, nur den Angehörigen nicht. „Oh wie großartig. Unsere …!“), da starteten die Kinder mit klarer Stimme und eindeutiger Botschaft in ihre Version der Weihnachtsgeschichte. Man konnte eine Stecknadel fallen hören. Zum Ende des Krippenspiels war die heilige Halle ganz erfüllt, so als ob Christus bei uns in Wiesoppenheim zur Welt gekommen wäre! Tosender Beifall erhob sich! Rauschend. Das hat es noch nie gegeben! Im Jahr drauf war alles wieder wie vorher. Der Geist weht halt wo er will, selten weht er zweimal. So ist es halt. Man muss nehmen, was man kriegt, und dankbar sein. Danke also für die schöne Mette vor acht Jahren, lieber Gott.