„Männer stecken im eigenen Gefängnis“
Wer braucht eine Plattenfirma? Die US-Sängerin Amanda Palmer jedenfalls nicht. Der Erfolg ihres letzten Albums zeigt, dass über die Musik zukünftig an anderen Orten verhandelt wird. Mit Max Tholl spricht sie über Parallelen zu Mozart, nackte Haut als Waffe und das Vorbild Miley Cyrus.

*The European: Frau Palmer, wie oft denken Sie an Finanzen?* Palmer: Viel zu viel! Jeder Künstler ist dem Druck ausgesetzt, gleichzeitig Kunst zu machen und sich um die Finanzierung derselben zu kümmern. Aber das ist keine neue Entwicklung, das war schon immer so. *The European: Im traditionellen Musikgeschäft kümmerten sich Plattenfirmen um das Finanzielle.* Palmer: Ich glaube, das Wort „traditionell“ ist schlecht gewählt. *The European: Wieso?* Palmer: Sie reden vom traditionellen Musikgeschäft und beziehen sich auf die 1920er-Jahre und die Anfangsphase der Schallplattenmusik. Aber vorher gab es auch schon Musik! *The European: Sie denken an Künstler wie Mozart, als es noch keine Plattenfirmen gab?* Palmer: Ja, viele von denen hatten andere Geldquellen: die Kirche und reiche Schirmherren etwa. Oder sie waren Wandermusiker und lebten von der Hand in den Mund. Das alles darf man nicht aus dem Blick verlieren. Wir müssen uns bewusst sein, dass es vor dem Musikgeschäft des 20sten Jahrhunderts auch einen Platz für Musiker und andere Künstler gab. Die Plattenindustrie der vergangenen 100 Jahre war eine untragbare Anomalie. *The European: Das müssen Sie erklären.* Palmer: Es war ein oberflächliches und völlig aufgeblähtes System. Selbst Megastars wurden unglücklich und litten unter dem Druck und der Absurdität ihres Ruhmes. Es ist ganz natürlich, dass diese künstliche Industrie nun zugrunde geht. Diese komische 1980er-Jahre-Mentalität mit der wir alle aufwuchsen, die nur auf Kommerz bedacht war und jeden Musiker zum Superstar machen wollte, hat ihr Ende erreicht.