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Politik > Ein Jahr Ampelregierung - eine kritische Bilanz

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Die Ampelregierung bekommt zum Einjährigen miserable Umfragewerte, die politische Stimmung in Deutschland ist schlecht. Statt der angekündigten Fortschrittsregierung erlebt das Land eine Streitkoalition mit schlechten Leistungen. Welche Note hat das Scholz-Team verdient? Von Wolfram Weimer

Quelle: Shutterstock
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Die Ampelregierung ist genau ein Jahr im Amt und bekommt vom Wahlvolk ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. Umfragen zeigen: Zwei Drittel der Deutschen sind mit der Arbeit in Berlin unzufrieden, fast die Hälfte bewertet die Arbeit der Ampel sogar mit „sehr negativ“. Selbst 73 Prozent aller FDP-Wähler, immerhin regiert ihre Partei mit, sind unzufrieden. In Ostdeutschland senken mittlerweile 80 Prozent der Gesamtbevölkerung den Daumen.

Die kollektive Notenkonferenz der Nation kommt zu keinem guten, nicht einmal zu einem ausreichendem Ergebnis. Kurzum: Das Stimmungsbild zur Ampel ist miserabel. Note 5.

Könnten die Deutschen heute noch einmal wählen, kämen die drei Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP auf keine Mehrheit mehr. Die Kanzler-Partei ist in den Umfragen auf 18 bis 20 Prozent abgesackt, damit hat die SPD seit der Bundestagswahl jeden vierten ihrer Wähler verloren. Die Sozialdemokratie liegt heute volle zehn Prozentpunkt hinter der CDU/CSU und nur noch wenige Punkte vor der AfD. Im Willy-Brandt-Haus gehen alle Alarmsirenen an, denn mit dieser Stimmungslage wird man die 2023 anstehenden Wahlen in Berlin, Bremen, Hessen und Bayern wohl verlieren.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil beschönigt darum die Lage nicht und rüffelt die Regierungskoalition in ungewohnter Offenheit. Bei Reformen müsste endlich Tempo her und wichtig sei „weniger öffentlicher Streit“. Klingbeil wettert, die Regierung führe ihren Dauerstreit „zu lang, zu öffentlich, zu personalisiert“. Dass der Vorsitzende der Kanzlerpartei den eigenen Leuten derart die Leviten liest, zeigt wie schlecht die Lage in Berlin wirklich ist. Das monatelange Tauziehen um die Atomkraftwerke, die Debakel um Gasumlage und Impfpflicht, die dauernden Fehltritte der Verteidigungsministerin, der peinliche Rücktritt der Familienministerin, vom Fracking bis zur Flüchtlingspolitik – die Serie der Streitigkeiten ist verblüffend lang. Schlüsselminister sind in offene Feindseligkeiten verstrickt, eine große Kabinettsumbildung wird erwogen und interne Lästereien über den „Scholzomaten“ im Kanzleramt häufen sich. Immer lauter kursiert in Berlin die Frage, ob diese Ampelkoalition überhaupt eine Legislatur durchhalten könne. Die feineren journalistischen Gemüter registrieren „zentrifugale Kräfte“ und „zielpolitische Diskrepanzen“, handfestere Kollegen wähnen bereits eine „Chaostruppe“ im Zerfall. Nur weil so viele Journalisten grün fühlen, dürfte die kollektive Journalistennote noch knapp befriedigend (3-) lauten.

Klingbeil gibt der Regierung in einem Interview verblüffend offen die Jahresbilanznote „3+“. Nun muss eine Kanzlerpartei die Leistung ihrer Regierung immer schönreden und eher zwei Noten zu gut bewerten, so dass die 3+ von Klingbeil im ausdeklinierten Politsprech eine gefühlte „mangelhaft“ bedeutet.

Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt greift das natürlich auf und urteilt so: „Wenn man Streit benoten würde, hätte die Ampel sogar eine 2 verdient. Die Regierungsarbeit allerdings bekommt leider eine glatte 5.“

In der Bevölkerung kommt die Ampel laut Insa-Umfrage derzeit auf die Durchschnittsnote 4,1. Darin drückt sich aus, dass die Deutschen mehrheitlich ziemlich enttäuscht sind von dieser Regierung, sie aber auch nicht als Katastrophenfall der bundesrepublikanischen Geschichte ansehen und ihre noch eine Chance geben.

Zugute halten muss man der Ampel, dass sie als Dreierkonstellation ein grundsätzlich schwieriges Machtgefüge hat. Zudem bekam diese Regierung mit dem Ukrainekrieg eine schwere Bürde aufgehalst. Sie hat diese Krise weder bravourös noch geschickt bewältigt, sie hat kurzatmig und unsicher agiert, aber sie hat doch einen Kurs gefunden, die Ukraine zu unterstützen und die innenpolitischen Folgen mit viel Doppelwums-Geld abzumildern.

Olaf Scholz kann man gutschreiben, dass er im Moment der Krise eine wichtige Zeitenwende-Rede gehalten und den richtigen Kurs vorgegeben hat. Auf dem G7-Gipfel in Elmau und beim G20-Gipfel auf Bali konnte er Deutschland als balancierte Ordnungsmacht positionieren. Außenministerin Baerbock macht zwar eine gute Figur auf diplomatischem Parkett, hat aber wenig Durchsetzungskraft. Auf der Habenseite stehen auch seriöse Fachminister und intelligente Klarsprecher wie Cem Özdemir (Grüne) oder Marco Buschmann (FDP).

Zur negativen Bilanz gehört die unzureichende Inflationsbekämpfung und die Abschaltung der Atomkraftwerke inmitten der größten Energiekrise Deutschlands. Neben den quälenden Streitigkeiten und Debakeln im Inneren gibt es auch eine schwere außenpolitische Verwerfung. Das Verhältnis zu Frankreich ist nach einem Jahr Ampelregierung im schlechtesten Zustand seit Jahrzehnten. Auch die Europa-Politik ist wegen deutscher Alleingänge regelrecht vergiftet, der jüngste Gipfel war ein Scherbengericht. Diese außenpolitische Verwerfung ist inmitten einer europäischen Kriegskrise buchstäblich „ungenügend“.

Das größte Versäumnis aber ist die fehlende ordnungspolitische Linie und die missglückte Kommunikation für Aufbruch. Ihrem eigenen Zentral-Anspruch wird die Ampel nicht gerecht. “Mehr Fortschritt wagen“, lautete das Motto des 177 Seiten starken Koalitionsvertrags, das als ein “Dokument des Mutes und der Zuversicht“ gepriesen wurde.

Doch nach einem Jahr zeigt sich Ampel-Deutschland genau gegenteilig: mutlos und pessimistisch Die Republik erinnert eher an einen gigantischen DFB, funktionärsverkrustet, altreich, selbstgefällig, in alten Strukturen gefangen, überpolitisiert, aber weit unter Leistung unterwegs. Man rutscht im internationalen Wettbewerb immer weiter ab und tut nichts Entschiedenes dagegen. Gerade die Verheißung im Ampel-Aufbruch, aus Deutschland endlich wieder ein Fortschrittsland zu machen, ist völlig verpufft. Diese Regierung hat nicht einmal ein Digitalministerium für das 21. Jahrhundert geschaffen, dafür aber ein überflüssiges Bauministerium aus den Tiefen der Vergangenheit reaktiviert, das seine eigene Neubauziele peinlich weit verfehlt. Am Jahrestag sind Aufbruch-Stimmung und Modernisierungs-Mut so weit entfernt wie ein Fußball-Weltmeistertitel. Olaf Scholz und seinem Kabinett ist es nicht gelungen, mit packenden Reden, kreativen Reformen und klaren Weichenstellungen einen Innovationsimpuls auszulösen und das Erfolgsfeuer der Deutschen wieder zu entfachen. Deshalb fühlt sich die Kanzlerschaft von Olaf Scholz nur „ausreichend“ an. Dabei könnten die Deutschen auch gut oder sehr gut vorankommen.

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