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> Die Türkei und die EU

Ein abgewürgtes Verhältnis

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Die europäisch-türkischen Beziehungen sind aufseiten der EU geprägt von Irrationalität und Kurzsicht. Dies ist das wahre Hindernis auf dem Weg zu einem türkischen EU-Beitritt - nicht die dort regierende AKP.

The European

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu sagte im Juli in Istanbul während einer Pressekonferenz mit seinem deutschen Kollegen Guido Westerwelle, dass die Türkei ihre Zukunft in Europa sehe. Es war ihm dennoch ein Bedürfnis hinzuzufügen, dass diese Beziehung eine „neue strategische Vision“ benötige, wollte man sie weiter gedeihen lassen. Er hatte natürlich recht damit, die Notwendigkeit eines neuen Ansatzes zur Wiederbelebung der Beziehungen zu betonen. Es ist jedoch unklar, wie die „Vision“, von der er sprach, entstehen kann, während die EU eine Krise existenziellen Ausmaßes durchlebt.

Zypern als Aufhänger
Währenddessen hat das Zypern-Problem acht Abschnitte in den türkischen Beitrittsverhandlungen blockiert, wodurch das Vertrauen der meisten Türken in die EU erschüttert ist. Die Anerkennung des griechischen Teils der zypriotischen Insel durch die EU ist für viele ein Beispiel für die anti-türkische Befangenheit innerhalb der EU. Der Umstand, dass die türkischen Zyprioten, welche den Annan-Plan akzeptiert hatten, von der EU in keiner Weise für ihre Mühen entlohnt wurden, schälte diese Überzeugung lediglich klarer heraus. Doch das Zypern-Problem ist nicht das einzige Hindernis, das vor einer türkischen EU-Mitgliedschaft liegt. Manche EU-Mitglieder verweigern sich einer Aufnahme der Türkei, da sie „nicht europäisch“ sei. Eines unter diesen, Frankreich, ging weiter und hat unilateral fünf Abschnitte in den Beitrittsverhandlungen blockiert. Auf der Grundlage, dass diese eine Vollmitgliedschaft beträfen. Anders gesagt: Selbst wenn das Zypern-Problem gelöst werden kann, wird der Weg von Ankara in die EU nicht frei. Daraus nährt sich die Überzeugung vieler Türken, dass sich ihr Land anderswo nach ökonomischen und politischen Partnerschaften umsehen sollte.
West-Ost-Drift
Der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert Gates kritisierte Europa kurz vor seinem Rücktritt in deutlichen Worten. Ankara sei vom Westen weggestoßen worden, was er als strategischen Fehler sah. Manche im Westen argumentieren, dass die "islamische Regierung" der Grund sei, weshalb sich die Türkei vom Westen fort orientiere. Es ist jedoch ein Fakt, dass die AKP nach ihrem Wahlerfolg alles Machbare getan hat, um Gespräche hinsichtlich einer Vollmitgliedschaft mit der EU sicherzustellen. Hätte die EU daraufhin fair reagiert, wäre es äußerst wahrscheinlich, dass die AKP weiterhin proaktiv in Richtung EU-Vollmitgliedschaft gearbeitet hätte, ungeachtet ihrer islamischen Verwurzelung. Sie hat ihren Enthusiasmus angesichts der negativen Klänge aus Europa jedoch verloren. Derweil vereinnahmen ernste interne Probleme die EU und westliche Analysen prophezeien einen jahrelangen Aufarbeitungsprozess. Es scheint unwahrscheinlich, dass eine Türkei, die ökonomisch wie strategisch eine kritische Masse erreicht hat und mithin weniger angewiesen auf die EU ist, darauf warten wird, bis Europa sich neu geordnet hat, während sich die Welt rapide verändert.
Keine Gewinner, nur Verlierer
Welche Seite wird also verlieren, wenn die türkisch-europäischen Beziehungen Schaden nehmen? Eine simple Antwort scheint zu lauten „beide Seiten“ auf lange Sicht, trotz variierenden Ausmaßes. Doch wie die Historikerin Barbara Tuchman dargelegt hatte: „Geschichte ist ein Marsch der Narrheit, und es wird Zeit brauchen, bis die Europäer dies realisieren, die überwältigt sind von einer irrationalen, beinahe atavistischen Furcht vor ,dem Türken‘.“ Es gibt natürlich auch EU-Mitglieder, die dies erkennen und sich besorgt fragen, wohin Europa und die Welt wandern. Sie verstehen, warum die türkisch-europäischen Beziehungen auch in der Zukunft von Bedeutung sein werden. Doch die Gegenwart gehört eindeutig nicht ihnen. Diese Mitglieder sind nichtsdestotrotz die dünne Schicht, die die Türkei und die EU zusammenhält, trotz der Schwierigkeiten in den Gesamtbeziehungen. Wie lange dieser Zustand gehalten werden kann in Anbetracht der derzeitigen Atmosphäre, bleibt abzuwarten.
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