Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
> Die Scheinheiligkeit des Westens

Wie es euch gefällt

Artikel vom

Putin ist also ein Großmachtnostalgiker, Aggressor und Imperialist? Von wegen. Der russische Journalist Ivan Rodionov glaubt, dass der Westen blind für die wahren Ursachen der Krise ist. Eine Gegenrede.

The European

Mal angenommen, eure Verschwörungstheorien stimmen und der Großmachtnostalgiker Putin hat das mit der Krim-Abtrennung von der Ukraine alles längst ausgeheckt und schon im Voraus seine Truppen Richtung Krim in Marsch gesetzt. Die hat zwar keiner gesehen – weder NSA noch „Washington Post“ – und es gibt auch keine Satellitenaufnahmen russischer Transportflugzeuge oder in Sewastopol einlaufender Truppentransportschiffe. Aber mal angenommen, Putin hat seine Soldaten vor Ort per 3D-Drucker gedruckt. Wenn das stimmen sollte, warum habt ihr und eure Politiker samt allen Russland- und Osteuropa-Experten vom Auswärtigen Amt bis zum BND ihm dann bitte die Krim auf einem Silbertablett serviert, indem ihr in Kiew diejenigen gewähren lassen habt, die die halbe Bevölkerung des eigenen Landes verabscheuen und sie als „degeneriert“ (Zitat Irina Farion), als „Russensäue und Judenschweine“ (Zitat Tjagnibok) bezeichnen und mit „Kopfschüssen erledigt“ (Zitat Gennadij Balaschow) wissen möchten? Wieso habt ihr zugesehen, wie diese Leute, mit denen ihr gerade noch mühsam ein dreiseitiges Abkommen ausgehandelt habt, nach ein paar Stunden dieses Papier samt der Unterschriften dreier EU-Außenminister in die Mülltonne werfen, den amtierenden Präsidenten mit Gewalt verjagen und sich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in einem halbleeren Rada-Plenarsaal zu einer „Regierung“ erklären? Ihr behauptet, dass Janukowitsch sich aus freien Stücken abgesetzt habe? Also ein bisschen Logik möchte ich doch erwarten: Wozu sollte er einen für ihn sehr schmerzlichen Kompromiss akzeptieren, welcher ihm zwar keinen würdigen, aber wenigstens einen rechtssicheren Abgang garantiert, und gleich darauf die Kurve kratzen? Er selbst behauptet, seine Autokolonne wäre in Kiew beschossen worden. Von persönlichen Drohungen gegen ihn und Familienmitglieder mal abgesehen. So viel Glauben sollte ihm geschenkt werden

Ungeklärte Todesschüsse
Und für alle, die jetzt mit dem Krim-Referendum über einen Bruch der ukrainischen Verfassung lamentieren: Nach dieser Verfassung ist Herr Janukowitsch immer noch der rechtskräftige amtierende Staatschef. Und wer heute in der Ukraine etwas anderes behauptet, ist Umstürzler und macht sich – streng nach der Verfassung – des Hochverrats schuldig. Denn dieselbe Verfassung schreibt in Artikel 111 genau vor, wie ein Staatsoberhaupt des Amtes enthoben werden soll. Dieses Verfahren hat nie stattgefunden. Also lasst die Kirche im Dorf. Und noch ein Häppchen Verschwörungstheorie: Warum wurde eigentlich das Abkommen vom 21. Februar – welches vorgezogene Neuwahlen und die Zurücksetzung der Verfassung auf den Stand von 2004 festlegte – gleich verworfen? Was fehlte denn der Opposition? Waren damit nicht ihre kühnsten, weitestgehenden Forderungen angenommen? Sollte sie nicht gerade Champagner aufmachen und sich auf einen Wahlsieg einstimmen? Es gab aber noch einen weiteren wichtigen Punkt in dem Papier: Die unverzügliche und lückenlose Untersuchung der Todesschüsse von Kiew. Eine Kommission aus Vertretern der Opposition und der Regierung sollte herausfinden, wer die mysteriösen Scharfschützen waren und wer den Schießbefehl gegeben hat. Dem hat Janukowitsch zugestimmt. Hatte nicht womöglich die andere Seite Angst vor einer lückenlosen Untersuchung? Wollte sie sich dabei nicht von „falschen“ – sprich, nicht von ihr gesteuerten – Ermittlern ins Handwerk pfuschen lassen? Seitdem ist nichts mehr von den Ermittlungen zu hören. Dafür aber umso mehr von Hinweisen, dass die Anführer der Opposition hinter den Schüssen stünden. Profitiert haben sie von den Opfern am Ende allemal.
Im Interesse der Konzerne?
Und wenn wir schon bei Verschwörungstheorien sind, dann ist hier noch ein bemerkenswerter Punkt, der im bisherigen Ukraine-Diskurs komplett untergegangen ist: Kurz vor der Ukraine-Krise hat Barack Obama eine erhebliche Verkleinerung der US-Armee und damit Kürzung des Wehretats (wenn man im Fall Amerika noch von „Wehr“ reden kann) angekündigt. Das tut aber sehr mächtigen und einflussreichen Menschen und Konzernen in den USA weh, und zwar all den Halliburtons, Northtrop Grummans und Lockheed Martins, bei denen die höchsten US-Beamten vor und nach ihrem Dienst im Staat so gern anheuern. Hört jemand heute noch etwas von Truppenkürzungen? Im Gegenteil, jetzt wollen die Amerikaner ihre in Deutschland stationierten Atombomben – nein, nicht abziehen und nicht verschrotten – modernisieren! Mit dem sonst so knappen Geld. Wie steht es hier eigentlich um die deutsche Souveränität? Hat jemand die Meinung der Bundesbürger erfragt, ob sie demnächst in Büchel modernisierte fremde Atomwaffen haben möchten? Und mit Verlaub, gegen wen sollen die neuen Nuklearsprengköpfe gerichtet sein? Gegen Terroristen in Somalia? Wenn also Putin das alles mit der Krim und Ukraine in einem Bunker unter dem Kreml oder auf einer Datscha in Sotschi geplant haben soll, warum habt ihr diesem Putin so eine Vorlage gegeben? Warum habt ihr zugesehen, wie der letzte Nagel in den Sarg des ohnehin fragilen, aber noch einheitlichen Landes eingeschlagen wurde und seine Teilung besiegelte? Wo waren denn eure ganzen Experten, Diplomaten, Spione, Beobachter und Kenner der Materie? Warum haben die alle nicht den nächsten, ach so simplen Schachzug Putins antizipiert? Taugen sie überhaupt etwas? Sollte sich Putin dann nicht bei euch bedanken? Ihr habt ja bereits den ganzen Job für ihn, den angeblichen „Großmachtnostalgiker, Aggressor und Imperialisten“, so prächtig erledigt. Oder war das von euch sogar gewollt? Aber das ist dann doch reine Verschwörungstheorie.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!
Neuen Kommentar schreiben