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> Die Protestantin

Merkel und das hohe C

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Die vom katholisch-barocken Kohl-Kanzler befreite Union trifft auf eine nüchterne Physikerin, die mutmaßlich mit Gott nichts mehr am Hut hat. Doch ist das wirklich so? Ein Auszug aus Volker Resings Buch "Angela Merkel – Die Protestantin".

The European

Angela Merkel und das hohe "C" der CDU: Das ist vor allem eine Geschichte der Verunsicherung – und zwar wechselseitig. Merkel trifft 1990 auf eine Union, die das "C" in Teilen noch vor sich herträgt wie eine Monstranz, obwohl die Mehrheit im Land nicht mehr weiß, was eine solche ist, geschweige denn etwas anfangen kann mit einer Fronleichnamsprozession, bei der der Leib Christi in Form der Hostie durch die Straßen getragen wird. Das ist die Funktion einer Monstranz im katholischen Ritus. Angela Merkel ist diese Vorstellung der "Realpräsenz" Christi – nebenbei gesagt – übrigens sehr fremd, das bekennt sie einmal gegenüber einem Kollegen. Weder die katholische noch die lutherische Position, vielmehr doch eine reformierte Sicht, die im Abendmahl nur eine zeichenhafte Handlung sieht, ist ihr nahe. "Wie hältst du es damit?", hat sie den evangelischen Parteifreund gefragt. Die Pastorentochter aus Templin wird eine der wenigen Abgeordneten des Bundestages sein, die sich schon mal intensiv mit dieser Frage beschäftigt hat.

Argwohn am Glauben der Kanzlerin
Auf der anderen Seite trifft die gerade vom katholisch-barocken Kohl-Kanzler befreite Union auf diese nüchterne Physikerin, die mutmaßlich mit Gott nichts mehr am Hut hat, so wie es doch bei der Mehrheit im Osten der Fall sei, so argwöhnen manche. Merkels Skepsis gegenüber den katholischen Unionisten und umgekehrt deren Zweifel am Glauben der ostelbischen Protestantin halten an. Bis heute. Es gibt Beruhigungen an der Front, doch nach wie vor gibt es skeptische Rufe, die das Christliche und ihr Bekenntnis zum "C" für eine Chimäre halten. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit der Debatte über das "C", die ja nicht aus übergeordneten Gründen, sondern ganz praktischen Überlegungen wichtig für die Union ist, schließlich ziert das Attribut der Christlichkeit prominent den Parteinamen. Auf die Frage, warum sie 2000 nach ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden bei der Nennung der drei Wurzeln von einer sozialen, einer konservativen und einer liberalen gesprochen, das Christliche oder Christlich-Soziale aber nicht erwähnt habe, antwortet Merkel mit einer Verstärkung des viel bemühten "C". "Das 'C' ist für mich nicht einfach eine Wurzel, sondern Kern – wenn Sie so wollen Dach von allem. Das 'C' hat demnach eine ganz grundsätzliche und zugleich übergeordnete Bedeutung." Gerade im traditionell christ-sozialen Flügel wird in so einer Heraufsetzung eher eine Abschwächung gesehen, auf jeden Fall verstärkt es die Sorge, das Christliche könne in die Sphäre des Unverbindlichen abgeschoben werden. Für die Durchsetzung der handfesten Anliegen einer christlichen Sozialpolitik würde dann die des verstärkenden Attributs beraubte Wurzel des Sozialen nicht mehr die Kraft haben. Das Ende der Herz-Jesu-Marxisten geistert dahinter. Künftig könne auch der Marktliberale sich unter das christliche "Dach" stellen, mag man vermuten.
Den "Profi-Christen" wirft sie mangelnden Realismus vor
Angela Merkels Ausgangspunkt für die Überlegungen zum "C", die sie allerdings nicht unbedingt prominent anstellt, ist die Säkularisierung der Gesellschaft und der Union gleichermaßen, die weder unter ihr begonnen hat noch von ihr beschleunigt wurde. "Leben nicht schon die meisten Menschen in unserem Land und in Europa beispielsweise längst, als wenn Gott abwesend wäre?", fragte sie 2005 auf dem Evangelischen Kirchentag. Das ist eine Frage, die sie mehr umtreibt als die Rechtgläubigkeit. Es ist ein mangelndes Hinsehen auf die reale Lage, was sie den vermeintlichen "Profi-Christen" in den eigenen Reihen mitunter vorwirft. Im Interview mit Radio Vatikan aus Anlass ihres 50. Geburtstags bekennt sie sich wortreich zum "C". Doch sie erklärt schlicht: "Natürlich ist im 21. Jahrhundert das 'C' für uns eine Herausforderung, weil es leider immer weniger Christen gibt." Das sei die Ausgangslage, die für eine Partei entscheidend ist, die Wahlen gewinnen will. Es ist eine Machtfrage. "Die CDU muss sich mit dem Wahlverhalten in den Ballungsgebieten, bei den nicht kirchlich gebundenen Bürgern und insbesondere bei den Frauen auseinandersetzen. Wer das bestreitet, setzt die Zukunft der CDU aufs Spiel." In der Union sind Atheisten willkommen, genauso wie Juden und Muslime. Die Union muss demnach eine programmatische Öffnung vollziehen, die sich nicht an bestimmten Glaubensüberzeugungen festmacht, nicht einmal an bestimmten Glaubensrichtungen – oder am Glauben schlechthin. In der christlichen Union sind Atheisten und Agnostiker willkommen, genauso wie Juden und Muslime. Daraus ist der Umkehrschluss gezogen worden, möglicherweise gehöre Merkel selbst in die Kategorie der Ungläubigen. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass dies doch eine vorschnelle Befürchtung war. Die Konsequenzen aus dieser Öffnung der Familienpolitik und der Zuwanderungspolitik zu betrachten, auch im Bereich der Haltung zur Homosexualität bis hin zu Fragen der Bioethik. Zudem ist festzustellen, dass diese Pluralisierung eben ein Prozess ist, den die Kirchen gleichermaßen durchmachen. So weist der CDU-Mann und prominente katholische Laie Hermann Kues darauf hin, dass mitunter katholische Bischöfe den Frust über die mangelnde Geschlossenheit des eigenen Ladens an der Union abladen.
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