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> Die Prekarisierung der Arbeitswelt

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Du bist, was du tust. Die moderne Arbeitswirklichkeit hat diese lange gültige Wahrheit längst überholt. Hartz IV, prekäre Beschäftigungssituationen und häufig wechselnde Arbeitsplätze ändern nicht nur unsere Wahrnehmung vom Wert der Arbeit, sondern auch die Gesellschaft selbst.

The European

Die deutsche Arbeitswelt ändert sich in rasantem Tempo. Teilzeit-, befristete und selbständige Beschäftigungen nehmen seit Jahren in hohem Maß zu. Ob Minijob oder Kurzzeitvertrag - insbesondere für junge Arbeitnehmer ist das nicht die Ausnahme, sondern mehr und mehr der Normalfall. Diese Dynamik ist durch politische Entscheidungen forciert worden. Der Ausbau des Niedriglohnsektors und die Förderung reduzierter Beschäftigungsformen wie den 400-Euro-Jobs hat eine Prekarisierung der Arbeitswelt insbesondere für junge Menschen und das untere Einkommensdrittel mit sich gebracht. Obwohl sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf relativ hohem Niveau befindet, ist der inflationsbereinigte Durchschnittslohn seit den neunziger Jahren stagniert. Die Anzahl der “working poor“ ist im letzten Jahrzehnt geradezu explodiert. Wo die Mittelklasse mit der Anzahl der regulären Beschäftigungsverhältnisse tendenziell schrumpft, hat die Anzahl der prekär Beschäftigten ebenso zugenommen wie die Armut im Land.

Präsenz, nicht Leistung zählt
Unsere Arbeitswelt richtet sich am Puls einer Industrie aus, die für die breite Mehrheit keine hegemoniale Alltagskraft mehr ist. Wir werden nach dem Prinzip der Präsenz und der manuellen Arbeit entlohnt, wo längst die zeitlich kaum messbaren Aktivitäten des Gehirns Maßstab sein müssten. Diese Struktur wäre lächerlich, wäre sie im Alltag nicht so ärgerlich. Präsenz, nicht Leistung zählt. Unsere Identität hängt an einer Arbeitskategorie des 19. Jahrhunderts. Das Land investiert in die Notbeatmung der Industrien von gestern, anstatt in neue Ideen. Statt den Untergang der industriellen Arbeitsstruktur produktiv und freudvoll zu nutzen, verharren wir in der Sehnsucht nach dem Gestern.
Welchen Stellenwert hat Arbeit für unsere Selbstdefinition?
Die Frage ist nun: Was tun? Eine Rückkehr zu den Arbeitsverhältnissen der Nachkriegszeit ist weder machbar noch erwünscht. Zeitgleich muss etwas unternommen werden, um der zunehmenden Prekarisierung der Arbeitswelt Einhalt zu gebieten. Das daraus entstehende Maß an Ungleichheit in Mitteln und Perspektiven bedroht den sozialen Frieden in Deutschland. Zeitgleich ist es Millionen Arbeitslosen unmöglich, einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, solange sich Selbstdefinition und zugemessener gesellschaftlicher Wert maßgeblich an der jeweilis ausgeübten Arbeit orientieren. Dafür müssen mehrere Fragen neu beantwortet werden: Welchen Stellenwert hat Arbeit für unsere Selbstdefinition? Ist Vollbeschäftigung als Ziel noch sinnvoll? Wie begegnen wir ihr, wenn sie nicht mehr der sozialen Mobilität dient, sondern Stagnation und Elend fördert? Aber auch: Was muss der Gesellschaft Arbeit wert sein? Definiert sie sich über ihre Kernwerte, oder wird der Wert der Arbeit in der Zukunft eher weniger bedeutsam für unser Leben werden? Wollen wir der Arbeit auch in Zukunft das Primat über unser Privatleben einräumen?
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