„Postfaktische Zeiten“
Auch im Jahr 2016 haben Talkgäste der AfD trotz der Anstrengungen in den Sendeanstalten, ihnen kein Forum zu geben, in Talkshows oft keine allzu schlechte Figur gemacht. Daher ist man beim WDR dazu übergegangen, nur noch die erwünschten Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Ein Echoraum also. Aber so kann man der AfD keine Stimmen abjagen.

Und nun versucht man es mit dem Begriff „postfaktisches Zeitalter“. Gerade im Lager der Linken sollte man mit derlei Aussagen vorsichtig sein. Das Grundgesetz ist ein Faktum, an dem man nicht vorbeidiskutieren kann. Artikel 16a Absatz 2 GG ist gültig. Punkt. Deutschland ist nicht zuständig für Asylanträge, die von Menschen gestellt werden, nachdem sie halb Europa durchquerten. Beim Besuch der diesjährigen Leipziger Buchmesse ging es – natürlich – in vielen Gesprächen, die ich führte, um das Thema Flüchtlinge. Der Vertreter eines kleineren Verlages, der sich auf die Neuauflage von Klassikern der Weltliteratur spezialisiert hatte, sei hier als typischer Vertreter linker Argumentationsschwäche erwähnt. Bereits damals, als wir noch deutlich vor dem Brexit standen, argumentierte ich, dass 23 von 27 EU-Ländern für eine Abschottungspolitik seien, es keine demokratische Rechtfertigung für einen deutschen Sonderweg gebe. Diese eindeutige und qualifizierte Staaten-Mehrheit ließ er nicht gelten. Man solle diese Menschen nur hinreichend aufklären. Wenn sie sich dem Willen nicht fügten, müssten es diese Länder finanziell zu spüren bekommen, etwa durch Ausschluss aus der EU oder Kürzung von Subventionen. Der Mann redete sich nicht nur zunehmend in Rage, sondern auch um Kopf und Kragen, ich ließ ihn und deckte mit gezielten Fragen seine argumentativen Mängel auf. Meinem Einwurf, dass Artikel 16a Absatz 2 unseres Grundgesetzes nun einmal ganz klar juristisch eindeutig und unser Land dementsprechend für die 1,5 Millionen seit 2014 Zugewanderten nicht zuständig sei, was in der EU auch durch das Dublin-Abkommen bestätigt werde, konnte er nichts entgegensetzen. Der „Geist der Verfassung“ sei ein anderer, so versuchter er nachzulegen. Juristen würden sich aufgrund eines solch post-faktischen Rechtfertigungsmusters die Fußnägel hochrollen. Mit dem Geist der Verfassung gewinnt man vielleicht politische Wahlen, aber keine juristischen Prozesse. Wenn mit „postfaktischem Zeitalter“ die normative Kraft des Faktischen gemeint ist, dass man also Fakten schafft, wie sie der eigenen Ideologie entsprechen, dann passt das Beispiel des Verlagsangestellten, der sich selbst als linksliberal bezeichnet hat. Das war aber so nicht gemeint mit Einführung dieses Idioms. Es ist vielmehr ein Anwurf, man habe mit ängstlichen und ungebildeten Menschen zu tun, die dann anfällig für „rechte Rattenfänger“ seien, da sie eigene Abstiegswut kanalisierten und sich medial nur in einem Echoraum von Gleichgesinnten informierten, so dass „objektive“ Berichterstattung gar nicht mehr ankäme.