Warum Donald Trump gewinnen kann
Nach der Nominierung Joe Bidens durch die Demokraten wird dies die Woche der Republikaner und Donald Trumps. Der Präsident sieht sich drei Herausforderungen gegenüber – und einer großen Chance

Die Woche der Demokraten ist vorbei, am Montagabend beginnt die Zeit der Republikaner: In Charlotte im Bundesstaat North Carolina findet die Republican National Convention statt, und zu ihrem Abschluss wird Präsident Donald Trump offiziell als erneuter Kandidat für das Weiße Haus nominiert. Trump will nach North Carolina kommen, der Parteitag wird weniger virtuell als die rein aufs Internet basierte Veranstaltung der Demokraten werden, mit Delegierten vor Ort und Luftballons und Konfetti. Aber Trumps Rede am Donnerstag, in der er die Nominierung annimmt, wird er dem Vernehmen nach wohl aus dem Weißen Haus halten.
Das wäre dann nochmals ein Tabubruch in der rund um Provokationen konstruierten Vita des Immobilienunternehmers und TV-Entertainers, den es in die höchste Etage der Weltpolitik drängte. Denn bislang hielten alle Präsidenten das Weiße Haus – zumindest formal – frei von Partei- und Wahlkampfaktivitäten.
Wie sind Trumps Aussichten in der 70 Tage entfernten Präsidentschaftswahl? Trump steht drei ungeheuren Herausforderungen gegenüber – und hat eine gewaltige Chance.
Drei Herausforderungen
Die drei Herausforderungen sind diese:
1) Die ausschließliche Konzentration auf den Versuch, Biden zu disqualifizieren und als „zu alt“, „nahezu senil“ oder „Marionette der Linksextremen“ darzustellen, wird nicht ausreichen. Der Trump muss schon die Botschaft rüberbringen, dass er positive eigene Ziele habe. Doch bislang fehlt ihm das glaubhafte Motto für seinen Wahlkampf, das sich messen lässt an Bidens „Unite America“ und „Battle for the Soul of the Nation“ („Vereint Amerika“ und Kampf um die Seele der Nation“). Trump und sein Vizekanzler Mike Pence kandidieren unter dem bereits vor fast drei Jahren entwickelten Slogan „Keep America great“. Völlig überzeugend wirkt das nicht angesichts von im Juli gemeldeten 16,88 Millionen Arbeitslosen und einer Quote von 10,5 Prozent. (Zum Vergleich: unter Vorgänger Barack Obama kletterte die Arbeitslosenquote im Herbst 2010 auf 10 Prozent).
Doch was wäre die Alternative? „Make America great“ erwies sich vor vier Jahren als ausgesprochen zündend, aber dieses Motto lässt sich nicht einfach recyclen. „Promise made, promise kept“ („versprochen – gehalten“), ist ein anderes Leitmotiv. Es kommt bei seiner Basis durchaus an. Doch das ist eher eine rückschauende Bilanz als ein Programm für die nächsten vier Jahre. Retrospektive statt Zukunft.
Zwar lässt sich einwenden, Trump trage allenfalls am Rande eine Mitverantwortung für einen ökonomischen Niedergang, der durch das Corona-Virus ausgelöst wurde. Und zuvor habe er den unter Obama begonnenen konjunkturellen Aufschwung kräftig beschleunigt, insbesondere durch drastische Steuerkürzungen und das Streichen von Regulierungen. Das stimmt alles. Doch auch in den USA gehen gute wie schlechte Entwicklungen mit denen nach Hause, die im Amt sind. Das war auch bei Obama so, der lange Zeit die Prügel der Republikaner für schlechte Wirtschaftszahlen in Folge der Immobilien- und Finanzkrise einzustecken hatte, obwohl sich diese während der Regierungsära seines Vorgängers George W. Bush entwickelt hatte.
Merke also: Gerechtigkeit ist kein hervorstechendes Merkmal der Politik, und ganz sicher nicht der Politik in Zeiten von Wahlkämpfen.
2) Trump hat zuletzt mehrere Schrittfehler gemacht. Aus seiner Angst, im Falle einer bequemen Briefwahl würden noch mehr Angehörige von Minderheiten mitwählen, die traditionell den Demokraten zuneigen, beschwor er die angebliche Gefahr großformatiger Wahlfälschungen und initiierte einen Feldzug gegen die Bundespost. Sie soll weniger Geld für Überstunden bekommen, es wurden veraltete Sortiermaschinen abgebaut, die die Arbeit schneller gemacht hatten, und etliche Briefkästen in der Fläche abmontiert.
Die Maßnahmen waren keineswegs allesamt von dem Wunsch inspiriert, Briefwahlen als manipulierbar darzustellen. Die US-Post schiebt einen dreistelligen Milliarden-Betrag ab Schulden vor sich her. Darum wurde die Zahl der Briefkästen auch schon unter Obama drastisch reduziert. Die Idee, Überstunden nicht mehr zuzulassen, ist ebenfalls deutlich älter als die Corona-Krise, die ja erst die Idee einer umfassenden Briefwahl aufkommen ließ.
Aber Trumps öffentliche Einlassungen gegen die Zuverlässigkeit der in der Bevölkerung hoch angesehenen Post haben gleichwohl nicht nur die Opposition, sondern viele seiner Republikaner empört, darunter Veteranen, die vom Briefträger regelmäßig ihre Medizin geliefert bekommen, oder Anhänger, die in diesen Monaten ihre Arbeitslosenchecks vom Zusteller erhalten. In Utah etwa, einer Bastion der Republikaner, wird seit langem die Möglichkeit der Briefwahl eingeräumt. Im Bundesstaat Oregon, der zu den Demokraten neigt, können registrierte Wähler schon seit 2000 bei Präsidentschaftswahlen nur noch via Briefpost abstimmen. Wahlfälschung ist dort dennoch kein Problem.
Am Ende dürfte Trump eine verstärkte Briefwahl kaum zu verhindern wissen (und vielleicht muss er sie nicht einmal fürchten). Aber die Debatte über seine entsprechenden Versuche haben ihm geschadet.
3) 2016 war Donald Trumps Nominierung eine unglaubliche Sensation, weil er sie gegen den Willen des gesamten Establishments der Republikaner erkämpfte. Die lange Liste seiner parteiinternen Konkurrenten reichte von Jeb Bush, dem Bruder des 43. und Sohn des 41. Präsidenten, über Senatoren wie Ted Cruz oder Marco Rubio und den Ex-Gouverneur John Kasich bis zu Quereinsteigern wie den Arzt Ben Carson, der als erster Chirurg siamesische Zwillinge erfolgreich getrennt hatte. Trump, der völlige Außenseiter, schlug sie alle.
Diesmal sieht sich Trump mit keinem ernstzunehmenden internen Konkurrenten konfrontiert, aber er steht an der Spitze einer Partei und eines Lagers, das nahezu jeden Tag neue Deserteure erlebt. Das ist alarmierend für die 1854 gegründeten Republikaner, die den ehrenden Titel der Grand Old Party (GOP) führen. Denn sie hatten immer den Anspruch, ein weites Zelt aufzuspannen und viele Strömungen und Flügel unter ihrem konservativen, wirtschaftsfreundlichen Dach zu versammeln. Doch diesmal klappt das nicht. Kasich, der republikanische Ex-Gouverneur von Ohio und 2016 Trumps hartnäckigster Gegner in den Primaries, hat angekündigt, er werde für Biden stimmen. Andere Republikaner sagen zumindest, dass sie nicht für Trump votieren werden. Dazu gehören der Senator und Ex-Gouverneur Mitt Romney, der 2012 als Präsidentschaftskandidat gegen Barack Obama unterlag, und der einstige Präsident George W. Bush.
Ebenfalls von der Fahne gegangen sind der Gouverneur von Vermont, Phil Scot, der frühere Gouverneur von South Carolina, Mark Sanford, und der republikanische Kongressabgeordnete Francis Rooney aus Florida. Rooney sagte, Trump reagiere falsch auf die Corona-Seuche, „he es driving all of us crazy“.
Dass der Präsident alle in den Wahnsinn treibe, äußert in ähnlichen Formulierungen Trumps einstiger Nationaler Sicherheitsberater John Bolton, der gerade in einem Buch die Hoffnung äußerte, „dass Trump ein Eine-Amtszeit-Präsident bleibt“. Bolton will gleichwohl nicht für Biden stimmen, sondern den Namen eines „konservativen Republikaners“ auf den (damit natürlich ungültigen) Wahlzettel schreiben.
Der einstige Navy-General William McRaven, der die Mission zur Tötung von Osama bin Laden kommandierte, bescheinigt Trump offen einen Mangel an „Qualitäten, die unverzichtbar sind, um ein guter oberster Befehlshaber zu sein“. Und Trumps erster Verteidigungsminister General John „Mad Dog“ Mattis hält Trump nach eigenen Worten für eine Gefahr für die Demokratie.
Abtrünnige wie McRaven oder Mattis oder jene 50 republikanische Sicherheitsexperten, die in den vergangenen 40 Jahren für GOP-Präsidenten wie Ronald Reagan, Bush Vater und Sohn und Trump gearbeitet und jetzt in einem offenen Brief ihre Abwendung von der Partei erklärt haben, schmerzen Trump besonders. Denn er sieht sich als Präsident des Militärs und der Sicherheitskräfte, als Anwalt für Recht und Ordnung. Dass Experten aus diesem Bereich auf Distanz gehen, schadet ihm noch mehr, als wenn ihn seine Schwester Maryanne, immerhin eine ehemalige Bundesrichterin, laut Audiomitschnitt als prinzipienfreien Lügner beschreibt oder seine Nichte Mary behauptet, an der Universität habe das aus ihrer Familie stammende „Monster“ einen Kommilitonen dafür bezahlt, eine Prüfung an seiner Stelle abzulegen. Dass Trump ein Trickser ist und es mit der Wahrheit nicht sonderlich hält, haben seine Anhänger eingepreist. Aber dass hochrangige und eisenharte Militärs wie Mattis oder McRaven den Commander in Chief als unfähig beschreiben, ist eine andere Dimension.
Gibt es bereits eine Trump-Partei?
Doch aus diesen drei gewaltigen Herausforderungen erwächst auch die größte Chance für Donald Trump: Wird er trotz der geschilderten Widrigkeiten am 3. November als Präsident bestätigt, dann wäre das nicht einmal mehr im Randbereich der Mitwirkung der Republikanischen Partei zu verdanken, sondern ausschließlich sein eigenes Verdienst. Und er wäre auch nicht mehr der Repräsentant der GOP. Vielmehr wäre im Fall eines Trump-Wahlsiegs zu konstatieren, dass es in den USA neben republikanischer und demokratischer Partei (und vielen kleinen Parteien, von den Libertären über die Grünen bis zu diversen kommunistischen Listen) eine große Trump-Partei gibt – ohne Namen, ohne Struktur, ohne Funktionäre, aber mit gewaltiger Macht. Ihre Anhänger, unter denen es natürlich große Schnittmengen mit der Basis der Republikaner gibt, aber keineswegs mehr eine auch nur weitgehende Identität, folgen dem Präsidenten treu ergeben, wohin auch immer er sie leitet. Das bestätigt ganz das selbstbewusste Bild, das Trump im Januar 2016 zum Auftakt des Wahlkampfjahres von sich zeichnete: „Ich könnte jemanden auf der 5. Avenue niederschießen und würde keinen einzigen Wähler verlieren.“
Worin liegt diese Treue zu Trump begründet? Seine Kritiker neigen dazu, ihm jede Leistung abzusprechen. Aber das ist falsch. Trump hat in den dreieinhalb Jahren im Amt Maßnahmen durchgesetzt, die seine Vorgänger versäumt haben.
Trumps Leistungen
Dazu gehört vor allem die lautstarke Beschwörung amerikanische Größe, die der Intellektuelle Barack Obama ungern thematisierte (wenngleich der Demokrat durchaus klassische Machtpolitik anwendete bis hin zu Drohneneinsätzen im Ausland oder die Mission zur Ausschaltung des Terroristenführers Osama bin Laden). Wichtiger aber ist noch, dass Trump die weiße Mittel- und Unterschicht wieder in den Blick nahm (er machte im Mittleren Westen Wahlkampfveranstaltungen in diesem Milieu, während Hillary Clinton mit Jay-Z und Beyonncé die Küstenstädte besuchte).
Trump versprach nicht nur wie fast alle seiner republikanischen und viele seiner demokratischen Vorgänger, etwas gegen illegale Einwanderer zu tun, die Amerikaner um ihre Jobs fürchten ließ, sondern er begann auch den Bau der Mauer (obgleich diese eher teure Symbolpolitik bleibt, weil sich die Grenze zu Mexiko nicht in ganzer Länge sichern lässt und viele Migranten schlicht mit dem Flugzeug einreisen und eine befristete Aufenthaltserlaubnis überdehnen). Trump hat den Aufschwung der Wirtschaft beschleunigt (allerdings durch eine Steuersenkung und damit eine gewaltige Erhöhung der Staatsverschuldung, obwohl er 2016 versprochen hatte, diese binnen acht Jahre auf null zu bringen). Trump forderte die Nato-Verbündeten und vor allem Deutschland auf, sich in angemessener Weise an den Verteidigungsausgaben zu beteiligen (was bereits vor ihm George W. Bush und Barack Obama anmahnten, aber in einer moderaten Lautstärke, die im Kanzleramt ohne Eindruck blieb). Trump hat zudem die chinesische Herausforderung ins Visier genommen (auch wenn ihm wegen seines rüden und unkalkulierbaren Verhaltens nicht einmal die Briten als enge Alliierte in diesen Handelskrieg folgen – von den Deutschen, die weiterhin gute Geschäfte mit Peking machen möchten, ganz zu schweigen). Und Trump hat der Political Correctness den Kampf angesagt, die Obama beispielsweise davon abhielt, auch nur ein einziges Mal das Faktum eines islamistischen Terrorismus zu thematisieren.
Trumps Fehler
Können derartige politische Wegmarken das ausgleichen, was Trump an Fehlern zu verantworten hat? Er stieg aus internationalen Organisationen und Vereinbarungen aus, vom Pariser Klimaabkommen über die WHO bis zum Atomabkommen mit dem Iran. Er schwächte, zur Freude Russlands, die Nato – und damit auch die Sicherheit der USA. Und er vergiftete das inneramerikanische Klima, indem er Polemik und Lüge zum bevorzugten Instrument seiner Kommunikation machte, angefangen am Tag seiner Inauguration, als er behauptete, mehr Zuschauer gehabt zu haben als Obama bei seiner Amtseinführung – obwohl Fotos das Gegenteil bewiesen. Der Präsident erwies sich als amoralischer Narzisst, der seinen politischen Erfolg und die Interessen seiner Familie immer wieder höher gewichtete als das Wohl der USA. Trump sagte dem Freihandel den Krieg an und setzte auf hemmungslosen Protektionismus. Multilateralismus ist für eine Großmacht wie die USA wichtig, doch er versucht jede internationale Kooperation zu unterminieren.
Donald Trump ist ruchlos in seinem Umgang mit der Macht. Er lässt nicht mit einem schlichten „Ja“ auf die Frage antworten, dass er im Falle einer Wahlniederlage das Weiße Haus verlassen würde, sondern erklärt, ein Sieg Bidens könne nur durch Manipulation der Ergebnisse zustande kommen. Aber dass er im Falle einer Wahlniederlage im November wirklich „putschen“ würde, wie es Mary Trump voraussagt und der „Spiegel“ soeben in einem düsteren Szenario beschrieben hat, ist nicht zu erwarten. Dafür müsste Trump nicht nur den Willen (der ist mutmaßlich vorhanden) eine ihm treu ergebene Basis an Wählern haben, sondern auch ein dichtes Netzwerk von Entscheidungsträgern in zentralen Institutionen und Sicherheitsbehörden. Dieses Netzwerk aber hat er bis heute nicht geschaffen. Wer eng mit Trump zusammenarbeitet, das ist zumindest eine Erkenntnis nach vier Jahren seiner Administration, wendet sich irgendwann desillusioniert von ihm ab.