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> Die Münklers und die „neuen Deutschen“

Im Geiste ihrer Kanzlerin

Für alle, denen Angela Merkels Slogan „Wir schaffen das“ als Antwort auf ein Jahrhundertproblem zu dürftig ist, gibt es nun Gehirnfutter: Passgenau zum Jahrestag der Grenzöffnung haben Herfried und Marina Münkler ein Buch vorgelegt, das den intellektuellen Überbau zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin nachreicht.

The European

Der Star der deutschen Politikwissenschaft Herfried Münkler und seine Ehefrau, die Literaturprofessorin Marina Münkler nennen ihr Buch „Die neuen Deutschen“. Das ist bewusst doppeldeutig gemeint, nicht nur die Millionen, die als Flüchtlinge oder Arbeitsmigranten ins Land drängen, wollen neue Bürger der Bundesrepublik werden, sondern auch die „alten“ Deutschen, sprich die hier Geborenen, werden sich beträchtlich ändern müssen, damit am Ende diese „neuen Deutschen“ gemeinsam die Zukunft unseres Landes positiv gestalten können. Abstammung, Hautfarbe etc. dürfe im Deutschland von morgen keine Rolle mehr spielen, der „entscheidende Identitätsmarker der Deutschen“ müsse schlicht und einfach das Bekenntnis zum Grundgesetz sein, schreiben die Autoren auf den Schlussseiten. In historischen, philosophischen und soziologischen Exkursen versuchen sie zuvor auf über 300 Seiten diese Grundthese zu belegen.

Heimatlos
Die Münklers sprechen ständig von „Alteingesessenen und Neuankömmlingen“ und pflegen damit bewusst eine stilistische Korrektheit, die das Wort „Einheimische“ gänzlich vermeidet. Darin steckt nun mal das Wort „Heimat“, ein Wert, an den die Autoren nicht glauben. Nomadismus sei historisch häufiger anzutreffen als Sesshaftigkeit, schreiben sie, das Verhältnis von Stadt und Land schon immer ein Migrationssystem gewesen und im Übrigen lasse sich „die Dynamik der Gegenwart sehr viel besser in den Metaphern des Liquiden als denen des Stationären beschreiben.“ Der ungelenke Ausdruck „Alteingesessene“ gehört übrigens zum Sprachschatz der Kanzlerin, sie hat ihn in ihrer Neujahrsansprache ostentativ gebraucht. Wohltuend hebt sich der meist nüchterne Stil des Buches von der verbreiteten Gefühlsduselei der Flüchtlingsdebatte hierzulande ab. Die Münklers bemühen sich um einen utilitaristischen Blick auf das Thema. Ihre Prämisse lautet: Angesichts unserer „defizitären biologischen Reproduktion“, also unserer abnehmenden Bevölkerung, sei Zuwanderung im großen Stil alternativlos. Hier wäre der Leser für einige Belege dankbar. Natürlich hat eine vergreisende Gesellschaft keine Zukunft. Aber wie viele Jahrzehnte wird es denn dauern, bis aus Beziehern von Sozialtransfers relevante Rentenzahler werden? Könnte eine maßvolle Schrumpfung denn nicht auch gelingen, einen positiven ökologischen Seiteneffekt hätte sie allemal? Das schlichte Argument, der Arbeitsmarkt brauche die Menschen, ist nicht unterfüttert. Im Zeitalter von Robotern und Automatisierung hat beispielsweise die industrielle Arbeitswelt doch eher qualitative als quantitative Nachwuchssorgen. Wir haben bekanntlich eine Fachkräftelücke und keinen Hilfskräftemangel.
Keine falsche Einwanderung
Der letzte sollte es mittlerweile begriffen haben: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Aber was für eine Einwanderung wollen wir? Die Münklers tippen diese Schlüssel-Frage an, vertiefen sie jedoch nicht. Natürlich sei ein rigides Punktesystem, wie es z.B. Kanada und Australien anwenden, hocheffektiv, gestehen sie ein. Auch sei es bedauerlich, wenn die Hälfte der anerkannten Asylbewerber nach Absolvierung der Kurse im simplen Sprachtest B1 durchfielen. Aber die Debatte über eine eventuelle „falsche“ Einwanderung, lassen sie nicht gelten. Niederschmetternden Statistiken wie etwa die der Bundesagentur für Arbeit, wonach 74 Prozent der arbeitssuchenden Flüchtlinge ohne jedwede Qualifikation sind und nur 4 Prozent für Expertentätigkeiten in Frage kommen, blenden die Münklers aus. Ihr Zauberwort heißt: Vermehrte Integrationsanstrengung mit dem Ziel aus „Fremden Deutsche zu machen.“ Dass sogar ein Mark Twain einst an „The Awful German Language“ scheiterte, fällt im verbreiteten Integrations-Optimismus gerne unter den Tisch. Deutsch ist eine besonders komplexe und schwierige Sprache – erst recht für Menschen, die in ihrer Muttersprache nicht lesen und schreiben können. Im Großen und Ganzen gibt es für die Münklers dennoch keine falsche Einwanderung. Und das liegt für die Autoren letztlich daran, dass Angela Merkel zwar in den Vorjahren für Fehler in der deutschen Migrations-Politik mitverantwortlich war, aber, als es 2015 wirklich darauf ankam, so gut wie alles richtig gemacht hat.
Mama-Gesicht
Den humanistischen Imperativ, auf den sich Merkel gerne beruft, teilen die Autoren und zitieren den Papst, der sagte, wir lebten in Zeiten, in denen die Kirche der verletzten Menschheit ihr „Mama-Gesicht“ zeigen müsse. Die Diskussion über eine Obergrenze sei unstatthaft, schreiben sie, und würgen das Thema mit der lapidaren Bemerkung ab, das Asylrecht kenne nun mal kein Limit. An dieser Stelle hätte man sich denn doch mehr Reflexion über einen Kernpunkt unserer Debatte gewünscht. Lebt nicht ein jeder von uns mit Obergrenzen der Barmherzigkeit? Wer von den helfenden Bürgern am Münchner Hauptbahnhof hat denn sein Leben wirklich in letzter Konsequenz mit den geschundenen Neuankömmlingen geteilt? Wer, von einer Handvoll echter Samariter abgesehen, praktiziert denn Mitmenschlichkeit ohne Obergrenze? Der steinreiche Vatikan gehört jedenfalls nicht dazu: Wie viele syrische Familien hat Franziskus nach Rom geholt – ist es schon ein halbes Dutzend oder womöglich gar ein ganzes? In der Migrations-Forschung spricht man von Pull- und Push-Faktoren, also von Motiven, die Fremde anlocken, weil ein Zielland attraktiv scheint, und Faktoren, die zum Gehen veranlassen, weil zuhause die Dinge schlecht stehen. Auch Marina und Herfried Münkler benutzen diese gängige Terminologie und sie wissen um die „Verwundbarkeit des Sozialstaates“, wenn zu große Erwartungen über das gute Leben in Deutschland in der Welt verbreitet werden. Dass die berühmten Selfie-Fotos, die Angela Merkel mit Neuankömmlingen zeigten, Pull-Faktoren ohnegleichen waren, thematisieren die Autoren freilich nicht. Die Monate vor der Grenzöffnung haben die Autoren als eine Zeit vieler Übergriffe auf Asylbewerberheime wahrgenommen. Deshalb habe die Kanzlerin im Spätsommer das einzig richtige getan, als sie die Flüchtlinge nach Deutschland holte, heißt es im Buch. Sie habe keine Wahl gehabt, weil es sonst international so ausgesehen hätte, dass Deutschland vor dem „vigilantistischen Terror“ einknicke. Eine verwegene These, die die Skepsis in weiten Teilen des Auslands über den deutschen Sonderweg einfach beiseite schiebt. Wie hatte die damalige britische Innenministerin und heutige Regierungschefin in London das so lapidar zusammengefasst: „Crazy“. Die Münklers kümmert das internationale Stirnrunzeln nicht. Neben Merkels Mut habe vor allem auch die Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft zu einer „sozialmoralischen Selbstertüchtigung der Gesellschaft“ geführt, schreiben sie.
Gutwillig oder böswillig
In einem Buch, das sich um den politiktheoretischen Hintergrund eines Großproblems kümmert, kann Tagespolitik ausgespart werden. Aber darf man die Spaltungstendenzen innerhalb der Europäischen Union wirklich nur streifen? Auch der Türkei-Deal kommt gänzlich zu kurz. Wir erkauften uns damit Zeit, schreiben die Autoren ganz realpolitisch und sicherlich nicht unzutreffend. Zeit allerdings wofür, möchte man fragen, wenn offene Grenzen am Ende doch das einzig Richtige sind? Der Name Erdogan taucht niemals auf im Buch, so wenig wie die Frage, ob Migration womöglich auch als Waffe in den Internationalen Beziehungen missbraucht werden könnte. Wer wissen will, wie Intellektuelle denken, die nicht nur gefühlige Gutdeutsche sein wollen, sondern wie man auch rational begründet die neue, deutsche Flüchtlingspolitik richtig finden kann, sollte diesen Katechismus der Einwanderungs-Befürwortung lesen. Am Ende bleibt freilich ein Ärgernis: Man darf als Wissenschaftler auch mal eine Apologie auf die Regierung verfassen, aber alle Andersdenkenden einfach abmeiern, das darf man nicht. In den ersten Sätzen des Buchs wird der Ton vorgegeben, der sich bis zum letzten Kapitel durchzieht: Auf der einen Seite sind die Gutwilligen, auf der anderen die Böswilligen, die sich durch die ungebetenen Gäste gestört fühlen, ja sogar Eindringlinge in ihnen sehen, die man verjagen sollte. Damit fällt das Professorenpaar leider dem gängigen Muster anheim, das die deutsche Migrations-Diskussion so vergiftet. Hier die Hilfsbereiten, Optimisten, Liberalen, Weltoffenen, Modernen – und dort die Gestrigen, Nationalisten, Engstirnigen und Engherzigen, kurzum die Rechten.
Die erstickte Debatte
Die Autoren sprechen mehrmals von publizistischen oder intellektuellen Stichwortgebern der neuen Rechten, ohne sie freilich dann auch beim Namen zu benennen. Könnte womöglich einer wie Peter Sloterdijk mit seinem Satz: "Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung" gemeint sein? Die Szene der Kritiker der aktuellen Migrationspolitik wird jedenfalls ganz diffus auf das Spektrum von Rechtspopulisten bis hin zu Rechtsextremen beschränkt. Es ist schwer verzeihlich, dass die vielen besonnen Stimmen der Kritik, die es unzweifelhaft gibt, niemals zu Wort kommen. Warum ist kein Platz für einen verfassungsrechtlichen Einschub? Hätte man den Bedenken eines Udo di Fabio oder eines Hans-Jürgen Papier nicht wenigstens eine Seite widmen können, vielleicht ja nur, um sie zu widerlegen? Auch Islamkritik lassen die Münklers nicht zu, sprechen sogar polemisch von der schädlichen „Islamisierung der Debatte“, als wenn die Religionszugehörigkeit der Migranten gar kein Problem wäre. Ihr Buch beschreibt den Weg zu einer Erneuerung Deutschlands mit Hilfe der Neuankömmlinge. Wie eine Modernisierung ausgerechnet mit den vielen dezidierten Antimodernisten, die es im islamischen Kulturraum nun mal gibt, gelingen soll, bleibt – man verzeihe den Kalauer – schleierhaft. Folgerichtig kommen islamkritische Stimmen wie etwa die des Friedenspreisträgers Boualem Sansal nicht zu Wort oder werden die Schriften von Autoren wie Bassam Tibi, Seyran Ates, Ayaan Hirsi Ali gerade mal in die Fußnoten verbannt. Kritiker, die nicht ins Schema passen, sind mundtot in diesem Buch. Hätte man beispielsweise nicht auch einmal eine Figur wie etwa den viel gelesenen Philosophen Slavoj Zizek in den Zeitzeugenstand berufen können, der die deutsche Ausländerpolitik heftig kritisiert, von arrogantem Moralismus und einem Verschließen der Augen vor islamfaschistischen Tendenzen spricht? Warum kommt ein Analyst wie z.B. der Moralphilosoph Konrad Ott nicht zu Wort, der überzeugend dargelegt hat, wie hilfreich in der Zuwanderungs-Diskussion ein Rekurs auf Max Webers Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik ist. Ott wirft der Kanzlerin vor, sie sei im vergangen Sommer einfach „gesinnungsethisch losgaloppiert“. Oder wäre nicht auch einmal Platz für eine Erörterung der Rolle der Medien gewesen? Wenn Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT, rückblickend den Willkommensjournalismus des eigenen Blattes und weiter Teile der deutschen Medien bedauert, weil die Regeln der journalistischen Distanz in der zweiten Jahreshälfte 2015 massiv verletzt wurden, hätte das doch bei der Beschreibung des Charakters der Willkommenskultur erwähnt gehört. Kritische Stimmen vom Schlage eines Zizek, eines Konrad Ott oder eines di Lorenzo passen jedoch nicht ins Schema von den immer „rechten“ Quertreibern: Zizek ist ein dezidierter Marxist, Ott Mitglied bei den Grünen und di Lorenzos linksliberaler Leumund einfach untadelig. Es ist schade, dass Herfried und Marina Münkler die Kritik an der herrschenden Flüchtlingspolitik kaum ernst nehmen, sondern die meisten Einwände, wie es in der Debattenkultur hierzulande weit verbreitet ist, schnell in die rechte Schmuddelecke abschieben. Sie ziehen ihr Buch damit auf ein Niveau, das Autoren von ihrem Schlag eigentlich nicht nötig hätten.
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