Warum der Mensch sich selbst genügt
In der abendländischen Tradition gibt es einen starken Zweig, der auf die Verwurzelung der westlichen Menschenrechte im christlichen Glauben verweist. Jenseits der Frage, ob das stimmt, ist entscheidend, ob die Menschenrechte auch von Nichtchristen bejaht werden können oder sie ihre Gültigkeit behalten, wenn es keine Christen mehr im Abendland gäbe.

Ist das Verständnis des Menschen als Person und als moralisches Subjekt bzw. ist die Menschenwürde untrennbar an das personale Gottesbild einer Offenbarungsreligion gebunden oder kann die Menschenwürde auch allein durch philosophische Reflexion der säkularen Vernunft erreicht werden? Mit dieser Frage ist ein Problem von großer Tragweite angesprochen, denn die Menschenwürde impliziert die Menschenrechte. Wenn es aber zum Wesen der Menschenrechte gehört, dass der Anspruch auf universale Geltung damit unabtrennbar verbunden sein muss, dann muss die Menschenwürde hinsichtlich ihrer Begründung das Kriterium erfüllen, dass sie weder verliehen wird noch abgesprochen werden kann. Für die Begründung der universalen Geltung und allgemeinen Verbindlichkeit der Menschenrechte fällt also die Religion als partikuläre Größe aus. Nur wenn gezeigt werden kann, dass Menschenwürde und damit Menschenrechte mit dem Menschsein als solchem ohne jeden weiteren Rückbezug gegeben sind, lässt sich die universale Geltung sichern. Diese Aufgabe kann allein durch säkulare philosophische Reflexion auf das Wesen des Menschen geleistet werden.