Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
> Die Krise und das transatlantische Verhältnis

Ach, Europa

Die amerikanische Finanzkrise ist mittlerweile ein handfestes Problem Europas. US-Präsident Obama mischt sich deshalb gerne mit guten Ratschlägen in die europäische Debatte ein – und verfolgt dabei auch eigennützige Interessen.

The European

Als die amerikanische Wirtschaft 2008 in Trümmern lag, haben wir Europäer noch geglaubt, dass der Sturm wahrscheinlich an uns vorbeiziehen würde. Schließlich hatten die meisten europäischen Banken Verpflichtungen vor allem innerhalb Europas und nicht in den USA (eine Tatsache, die uns heute neue Kopfschmerzen bereitet). Wenn es negative Auswirkungen gäbe, so der damalige Irrglaube, dann wären sie sicherlich auf eine vorübergehende Exportflaute oder auf sinkende ausländische Investitionen beschränkt. Nachdem die amerikanische Regierung das milliardenschwere „Bailout“-Paket verabschiedet hatte und die US-Wirtschaft erste Zeichen einer Erholung zeigte, waren wir sogar vorsichtig optimistisch. Viele glaubten, dass die schlechten Zeiten vorüber seien – Obama und der Opferbereitschaft der Amerikaner sei Dank.

Im Herzen des Kontinents
Heute ist klar, dass die Krise noch lange nicht vorbei ist und dass sie auch nicht auf die USA beschränkt geblieben ist. Was vor der Krise höchstens als Risse in der wirtschaftlichen Fassade Europas sichtbar war, ist inzwischen zu immer klaffenderen Lücken geworden. Von der Peripherie Europas hat sich die Krise ins Herz des Kontinents vorgearbeitet und stellt mittlerweile selbst die großen europäischen Banken vor Probleme. Zu Griechenland gesellt sich inzwischen eine Handvoll anderer Staaten, die gegen den Bankrott kämpfen. Die Verlängerung der Krise ist dabei schon lange kein Zeichen schlechter politischer Entscheidungen mehr. Schon etwas Unentschlossenheit reicht aus, um die europäische Integration zu verhindern – genau so, wie es aktuell in der Euro-Zone an der Tagesordnung ist. All das hat Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis – es hat sich seit dem Amtsantritt Obamas deutlich verändert. Die Krise in der Euro-Zone ist dabei nicht der einzige Faktor – Stichwort „Arabischer Frühling“ – aber die wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre sind wichtig: Immerhin war es die regulatorische Verweigerungshaltung der Briten und der Amerikaner, die eine Situation begünstigt haben, in der Finanzkartells einen enormen Einfluss auf die finanzielle Situation eines Landes entfalten können. Als Rating-Agenturen einen unverhältnismäßig großen Einfluss entwickelten, standen vor allem die Amerikaner tatenlos an der Seitenlinie des Geschehens. Zu Beginn der Krise waren es europäisch geführte Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF), die einen staatlichen Rettungsfonds für Banken und strikte Regulation von Finanzmärkten und Investmentbanken gefordert hatten. Es ist bekannt, dass viele der Empfehlungen von den Amerikanern ignoriert worden sind. Die Verhaftung des Ex-IWF-Direktors Strauss-Kahn (aufgrund zweifelhafter Beweise) war ein medienwirksamer Höhepunkt der Diskussion. Amerika war nicht bereit, auf Europa zu hören. Heute sind die Karten neu verteilt. Obama ist sehr interessiert daran, Europa Ratschläge zu Finanzreformen und „glaubwürdigen“ Notfallmaßnahmen zu geben. Die Frage: Ist der amerikanische Vorstoß wohlmeinende Unterstützung in Krisenzeiten oder ein Versuch, Europas Politik zu beeinflussen? Aus europäischer Perspektive dominiert die zweite Sichtweise. Warum sollten wir uns es schließlich gefallen lassen, dass die Amerikaner die Ratschläge des IWF ignorieren – immerhin ist das eine Institution, die genau für solche Situationen ins Leben gerufen wurde – und gleichzeitig fordern, dass Europas Staats- und Regierungschefs sich die Worte ihres Präsidenten zu Herzen nehmen. Obama fordert heute, Europa in wirtschaftliche Quarantäne zu nehmen, um die Ausbreitung der „Krankheit“ zu verhindern. Diese Haltung impliziert, dass die Weltwirtschaft sich bereits auf dem Weg der Erholung befände – wenn bloß Europa nicht wäre.
Die Macht der Agenturen ist ungebrochen
Europäische Führer wie beispielsweise der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, erinnern die Amerikaner zu Recht daran, dass die heutige Krise nicht erklärt werden kann, ohne explizit auf die Rolle der USA einzugehen. Die Debatten drehen sich also schon lange nicht mehr um rein wirtschaftliche Fragen, sondern sind längst politisiert. So stark unterscheiden sich nämlich die Vorschläge Obamas gar nicht von den Ideen, die Draghi seit 15 Monaten predigt. Doch ein öffentlicher Konsens zwischen dem US-Präsidenten und dem obersten europäischen Währungshüter ist schwer vorstellbar. Die politische Oberschicht in den USA ist inzwischen stolz auf die positiven Effekte des dortigen Rettungsschirms. Entschiedenes Handeln, so die dortige Meinung, habe eine Ausbreitung der Krise verhindert. Europäer antworten, dass damit nur die Schuld auf andere abgeladen wird. Die verhältnismäßige Erholung der US-Wirtschaft kann teilweise damit erklärt werden, dass riskante Finanzgeschäfte sich nach Europa verlagert haben. Nach wie vor tut Amerika sich schwer, das Scheitern von Deregulierung und Freimarktdenken einzugestehen. Rating-Agenturen sind bekannt dafür, die Kreditwürdigkeit amerikanischer Banken über Jahre hinweg falsch beurteilt zu haben. Trotzdem hören wir heute noch auf genau die gleichen Agenturen, wenn sie Urteile über die Kreditwürdigkeit europäischer Staaten fällen. In dieser Hinsicht hat die Krise zumindest einen positiven Effekt: Wir wissen inzwischen, dass die Euro-Zone nicht außerhalb der internationalen Politik existieren kann. Der Rest der Welt – angefangen mit Präsident Obama – ist heute sehr interessiert daran, mit Europas Führern in den Dialog zu treten. Allem innereuropäischen Nationalismus zum Trotz: Die Euro-Zone wird außerhalb Europas zunehmend als Einheit gesehen; in den USA ist nicht von „Deutschen“ oder „Griechen“ oder „Italienern“ die Rede, sondern von Europa. Daher ist auch eine Neuorientierung des transatlantischen Verhältnisses von großer Bedeutung. Unsere gemeinsame europäische Identität definiert sich teilweise über unser Verhältnis mit Amerika. Es sollte nicht auf Missverständnissen und gegenseitigen Anschuldigungen basieren.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!
Neuen Kommentar schreiben