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> Die Kanzlermaschine: Die CDU unter Merkel

Die Kanzlermaschine

Was wird aus der CDU? Volker Resing liefert eine intelligente Analyse und zeigt auf, dass die CDU von ganz unerwarteten Vorbildern lernen kann.

The European

So lange haben noch keine Koalitionsverhandlungen gedauert. Nach fast drei Monaten darf in Deutschland wieder regiert werden. Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren in einer Großen Koalition und zum dritten Mal in Folge unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dass die SPD diesmal Monate brauchte, um erneut ein Bündnis mit der Union einzugehen, hat eine zentrale Ursache: Während CDU/CSU ihr Ergebnis auf historische 41,5 Prozent verbesserten, kam die SPD auf katastrophale 25,7 Prozent. Der Abstand erinnert an den Punktevorsprung, mit dem der FC Bayern München in diesem Jahr Deutscher Fußballmeister wurde (25 vor Dortmund). Ein beinahe außerirdisches Ergebnis, das die CDU allein ihrer „Alien“-Vorsitzenden zu verdanken hat. Angela Merkel ist nicht nur dem Gegner, sondern ebenso der eigenen Partei „unheimlich“ geworden.

Der Preis des Erfolgs: Verlust von Grundsätzen und einer ganzen Generation
Gründe dafür gibt es etliche. Eine intelligente Analyse liefert der kurzweilige Band von Volker Resing „Die Kanzlermaschine. Wie die CDU funktioniert“. Resing ist Redakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur und Autor einer der inzwischen zahlreichen Merkel-Biografien. Geschrieben und erschienen ist der Band vor der Bundestagswahl im September. "Dennoch denkt Resing den historischen Wahlsieg als Möglichkeit vorweg":http://www.theeuropean.de/volker-resing/6821-zustand-der-cdu-vor-der-bundestagswahl. Während die SPD im Wahlkampf und auch heute noch an den Folgen der „Agenda 2010“-Politik leidet und ideenpolitisch stehen geblieben ist, hat Merkel die Partei seit ihrer Machterringung modernisiert wie kein Vorsitzender vor ihr. Das aktuelle Grundsatzprogramm von 2007 ist in ihrer Regierungszeit zu großen Teilen Makulatur. Wehrpflicht, Energiewende, Schulsystem, doppelte Staatsbürgerschaft und bald die Homo-Ehe. Mit diesen Grundsätzen hat die CDU in den vergangenen Jahren eine ganze Generation von CDU-Politikern verloren. Roland Koch, Jürgen Rüttgers, Friedrich Merz, Christian Wulff, Annette Schavan, Norbert Röttgen – die Liste ist bei Weitem nicht vollständig. Die damit verbundenen Klagen kennt die Kanzlerin und weist sie in der Regel mit dem Kommentar zurück, neue Köpfe müssten schon selbst kommen, sie könne sie nicht herbeizaubern.
Merkel muss zaubern können
Doch genau das wird in Zukunft von ihr erwartet: Merkel muss zaubern. Nach den radikalen Reformen vor ihrer ersten Kanzlerschaft 2005 und den Jahren als Krisenmanagerin wird von ihr Übermenschliches erwartet: Sie muss für Land und Partei einen neuen Horizont entdecken. Die Sehnsucht nach neuen Zielen, die weiter als die nächste Legislatur reichen, wächst. Jüngere Politiker haben erst vor wenigen Tagen ein zweiseitiges Papier vorgelegt („CDU 2017“), in dem sie eine Debatte um eine Öffnung, mehr Dialog und neue Bündnisse sowie eine Politik zugunsten der kommenden Generationen fordern. Ein neues Fundament und eine überzeugende Erzählung bietet jedoch auch die nächste Generation Union nicht. „Kreativität, Dynamik und Innovation“ allein tragen eine Gesellschaft nicht. Die CDU verdankt ihre Stärke vor allem dem Umstand, dass es ihr fast immer gelang, den gesellschaftlichen Ausgleich abzubilden und zu organisieren. Nicht nur die großen Fragen und Aufgaben, auch die vielen Alltagsprobleme entscheiden darüber, ob einer Partei zugehört wird. Fragen wie Ernährung, Demenz und Pflege berühren die Bürger weit mehr als abstrakte Themen wie Mindestlohn, Vermögenssteuer und Frauenquote (auch wenn diese in Umfragen auf große Zustimmung stoßen).
Modernität und Bodenständigkeit
Die CDU versteht sich als geborene Regierungspartei, schreibt Resing zutreffend. Regieren kommt vor Recht haben. Macht vor Meckern. Der ständige Vorwurf von Medien und konservativen Unionsanhängern lautet dann auch, die Werte der Partei verkommen zur Beliebigkeit. Das Verharren in alten Positionen und Schützengräben ist jedoch weitaus gefährlicher. Die Deutschen sind zwar mehrheitlich veränderungsscheu, sie sind aber auch nicht von gestern. Ausgleich und Mäßigung bei schleichender Veränderung ist das Erfolgsrezept klugen Regierens. Merkel nimmt wenig Rücksicht auf Befindlichkeiten, sie beherrscht aber den Spagat aus Bodenständigkeit und Modernität wie keine andere. Auch deshalb sind ihre Werte bei den Jüngeren wie bei den Frauen so hoch. Mit ihrem Satz „mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial“ trifft sie die Zeit und das Lebensgefühl vieler Menschen im Lande.
Die letzte Volkspartei?
Auch die CDU hat ähnlich wie die SPD in den vergangenen Jahren dramatisch Mitglieder verloren. Dass auf den Mitgliederschwund der Wählerschwund folgt, ist nicht zwingend ausgemacht. 2013 hat die Union diesen Automatismus eindrucksvoll widerlegt. Es gibt viele Möglichkeiten der Bindung jenseits der formalisierten Mitgliedschaft. Netzwerke, Gesprächskreise, Dialoge sprießen beinahe täglich aus dem Boden. Man muss sie jedoch wollen, machen und machen lassen. Die Partei, die in den kommenden Jahren die Wirklichkeit und Buntheit in der Republik am besten abbildet und widerspiegelt, muss sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen. Die SPD hat soeben einen unerwartet hohen Rücklauf ihrer Mitgliederaktion zum Koalitionsvertrag erlebt. Eine entsprechend hohe Zustimmung kann die Partei und ihre Führung nachhaltig stärken und die Lust auf mehr innerparteiliche Demokratie wecken. „Mehr Demokratie wagen“ ist immer auch ein Wagnis. Hiervon könnten selbst Merkel und die CDU etwas lernen. _Volker Resing: Die Kanzlermaschine. Wie die CDU funktioniert. 224 Seiten. Verlag Herder, Freiburg. 18,99 Euro._
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