Das Geheimnis von Angela Merkels Erfolg
Die Flüchtlingskrise brachte ihre Kanzlerschaft ins Wanken, die CSU setzte sich ab, die AfD stürmte die Republik, selbst Rot-rot-grün schien denkbar. Noch im Winter lag Wechselstimmung überm Land. Doch plötzlich wirkt Merkel stark wie nie. Warum eigentlich?

Man nannte sie anfangs die deutsche Hamlet, weil sie so zaudernd regierte und niemand wußte, ob ihr politisches Sein oder Nichtsein irgendeine Rolle spielte. Nachdem sie kühlen Herzens aber reihenweise Konkurrenten und später Koalitionspartner erledigte, rief man sie die machtpolitische Macbeth. Und als man schließlich staunte, wie sie in der Migrationskrise naive, schwere Fehler machte und die Gefolgschaft im eigenen Land wie in Europa zu verlieren drohte, da witterte man King Lear und einen dramatischen Untergang. Doch all die Vergleiche sind falsch. Angela Merkel taugt für kein Shakespeare-Drama. Die Kerle-Welt der markigen Worte, dort also wo die Putins, Erdogans und Trumps zu Hause sind, ist ihr nicht nur fremd. Sie verkörpert das Gegenbild dazu. Dort Mars, hier Venus. Merkels Naturell entstammt nicht der wüsten Welt von Gefühlen, Pathos, Gewalt und großen Gesten. Ihr Wesen ist aus einem norddeutschen Klinkerbau erwachsen, kühl und schmucklos und rational und bescheiden. Sie ist durch und durch protestantisch. Das heißt, dass sie sich weniger durch das definiert, was sie ist, als durch das, was sie nicht ist. Das ist das eigentliche Geheimnis ihrer Politik. Derzeit ist sie demonstrativ nicht an der Seite Donald Trumps. Dessen neo-nationalistische Rüpel-Politik namens „America First“ zwingt Europa zu einer neuen Selbstverortung. Merkel spürt den drehenden Wind der Geschichte und formuliert im Münchner Bierzelt so etwas wie Europas Unabhängigkeitserklärung: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Die Protestantin protestiert gegen Trump und wächst damit automatisch in die große Rolle der Reformatorin. „Merkel schlägt ein neues Kapitel der US-europäischen Beziehungen auf“, schreibt die beeindruckte „Washington Post“ und weiter „Sie hat Trump glasklar zurückgewiesen.“ Den Trick mit dem protestantischen Nicht-Sein macht einen Großteil ihrer Karriere aus. Immer wenn etwas kippte, war sie flugs gezielt dagegen und gewann so eigenes Profil. Mit der Wende war sie gegen die DDR (als gegen das Prinzip Diktatur), dann gegen Helmut Kohl (gegen das Prinzip Pate), dann gegen Joschka Fischer und Gerhard Schröder (gegen das Prinzip Testosteron), danach war sie nicht Koch, nicht Merz, nicht Wulff (gegen das Prinzip Mann). Ihr Geschick bestand häufig darin, im richtigen Moment den richtigen Gegner zu wählen und sich zu distanzieren. Und sei es schlagartig, etwa als in Japan ein Atomkraftwerk überflutet wurde, da war sie plötzlich gegen die Kernenergie. Oder als ein neo-sozialistischer Grieche namens Varoufakis ihr an die Ehre und Deutschland ans Portemonnaie wollte, da war sie plötzlich nicht mehr nachgiebig.