Mit Pluralismus gegen Paranoia
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Auch 10 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September müssen wir lernen, vernünftig mit der Angst umzugehen. Liberal ist, die Probleme der multikulturellen Gesellschaft zu lösen, anstatt sie abzulehnen.

Es ist Sonntag, der 11. September 2011, um 9 Uhr morgens. Ich sitze auf einer Holzbank auf der Brooklyn Promenade. Unter mir donnern Autos, die nach Queens oder Manhattan wollen. Neben mir brüllen Kinder nach ihren Müttern oder einem letzten Spätsommereis. Langsam, sehr langsam (denn ich weiß, was mich erwartet) blicke ich von meinem Notizheft auf. Und gewiss: Die Leere auf der anderen Seite des East Rivers, rechts der Freiheitsstatue, dort drüben in Lower Manhattan, drängt sich mir heute besonders schmerzhaft auf. Vielleicht, denke ich mir, sollte ich das Thema wechseln. Es ist schon "so viel über den zehnten Jahrestag von 9/11 geschrieben worden":http://www.nytimes.com/interactive/us/sept-11-reckoning/viewer.html?pagewanted=all – manches klug; noch mehr seicht, sinnlos, sensationsgierig. Und mein Artikel kommt ja erst übermorgen, also an einem Tag, wenn uns der Kalender das Erinnern nicht mehr aufzwingt, heraus. Ja, wahrscheinlich sollte ich wirklich lieber über die Krise der Koalition oder die Krise des Euro oder die Krise Obamas schreiben. Nur: es will nicht in mir. Vielleicht liebe ich diese Stadt zu sehr. Vielleicht sind mir die Werte, die damals angegriffen wurden, zu teuer. Oder vielleicht glaube ich auch nur, dass über 9/11 nicht zu viel, sondern zu viel Falsches gesagt wurde. Jedenfalls: heute, an diesem Ort, scheitert mein Befehl an mich selbst, über andere Themen nachzudenken.