„Wir treiben den Taliban die Anhänger in die Arme“
In seinem Buch "Hier spricht Guantánamo" interviewte Roger Willemsen fünf ehemalige Häftlinge des US-Gefangenenlagers. Mit Inanna Fronius sprach er über Guantánamo Bay, die Entwicklung Afghanistans und die Rolle der Bundeswehr am Hindukusch.

*The European: Herr Willemsen, Sie haben zwei Bücher über Afghanistan geschrieben, das Land intensiv bereist, und Sie sind Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins in Deutschland. Woher rührt Ihre Faszination von diesem Land?* Willemsen: Ich glaube, jeder Mensch hat so etwas wie eine blaue Blume, einen Ort der Sehnsucht, und Afghanistan ist das für mich, seit ein Freund nach einem Jahr in Afghanistan zurückkehrte. Was er mitbrachte an Verwilderung und an Drogenerfahrungen, das hat sich dann für mich verquickt mit der Begegnung einer Exilafghanin, die heute eine meiner allerengsten Freundinnen ist und die mir aus dem liberalen Afghanistan der 60er- und 70er-Jahre erzählte. Das war für mich ein idealer Ort. *The European: In Ihrem Buch "Hier spricht Guantánamo" haben Sie fünf Ex-Häftlinge, die in Guantánamo waren, interviewt. Wie kam es zu der Auswahl der Personen? Haben Sie ganz gezielt versucht, fünf Menschen mit verschiedenen Ethnien, Altersgruppen und aus sozialen Schichten zu finden, um ein möglichst breites Spektrum widerspiegeln zu können?* Willemsen: Es war nicht leicht, diese fünf Häftlinge aufzuspüren, und insofern konnte man nicht gerade aus den Vollen schöpfen. Ich habe vermutet, dass es gut sein könnte, unterschiedliche Ethnien und soziale Schichten einzubegreifen. Insofern waren ein Russe, ein Palästinenser, ein Tatar und ein dem arabischen Kulturraum Zugehöriger das eine. Der für mich entscheidende und von mir richtig punktuell gesuchte Mann war Abdulsalam Saif, weil er der Botschafter Afghanistans in Pakistan und Häftlingssprecher in Guantánamo gewesen ist. In diesem Zusammenhang war es wichtig für mich, die Repräsentationsfigur der Häftlinge in Guantánamo zu treffen. Er war auch in Afghanistan nur auf sehr komplizierte Weise aufzuspüren. In den anderen Fällen konnte ich entweder über die Rechtsanwälte gehen oder über humanitäre Organisationen. *The European: Gab es eine Möglichkeit, die Aussagen der Ex-Häftlinge auf ihre Richtigkeit zu überprüfen?* Willemsen: Wir haben alle Wege genutzt, die wir konnten. Wir haben Amnesty-Quellen und die Netzwerke von Amnesty International in den jeweiligen Ländern genutzt, und wir haben in Jordanien mit einer Organisation zusammengearbeitet, die diese Recherchen bereits angestellt hatte. Bis zum heutigen Tag gibt es kein einziges Detail in all dem, was gesagt wurde, das falsifiziert worden wäre. Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass der Wahrheitswille der Häftlinge jeden Ansatz, polemisch, schroff oder verletzt zu sein, vollkommen erstickte. Aber ich habe auch sehr deutlich anhand einer ganzen Reihe von Indizien wie verlorener Kassetten und Druck auf die Dolmetscher feststellen können, dass es großes Interesse daran gab, herauszukriegen, was uns in den Interviews gesagt worden war.