„Wie wirst du zum Mörder?“
Das deutsch-jüdische Verhältnis ist gut, Deutschland tut aber zu wenig, um die Erinnerung an den Holocaust aufrechtzuerhalten. Diese Aufgabe fällt der jüdischen Gemeinde zu. Und die verändert sich, erklärt Michel Friedman. Ein Großteil der heute in Deutschland lebenden Juden kommt aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese Menschen sehen sich als Sieger über Nazideutschland, nicht als Opfer.

*The European: In den jüdischen Gemeinden in Deutschland steht ein Generationenwechsel an. Wie gehen die Gemeinden damit um?* Friedmann: Die jüdische Gemeinschaft im Jahr 2010 hat so gut wie nichts mehr mit der Nachkriegsgemeinschaft zu tun. Bis 1990 lebten rund 30.000 Juden in Deutschland. Die Mehrzahl waren Holocaustüberlebende aus Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, die als Opfer der Nazibarbarei, also des deutschen Verbrecherstaates mit all seinen 100.000 Helfern und Zuschauern, vieles erleiden mussten. Danach sind Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen. Sie haben sich nicht als Opfer, sondern als Sieger gegen Deutschland erlebt. Es war auch die sowjetische Armee, die zusammen mit den Amerikanern, den Briten und den Franzosen Nazideutschland befreit hat. Besiegt und befreit. Der zweite Unterschied ist, dass es auf dem Boden der Sowjetunion keine Vernichtungslager für Juden gab. Also ist deren Identität und die ihrer Kinder und ihrer Kindeskinder im Verhältnis zu Deutschland ein ganz anderes. Diese Menschen machen heute 90 Prozent der jüdischen Gemeinschaft aus. Sie prägen die Gemeinden auf eigene Weise. *The European: Wie sehen Sie die Veränderung an der Spitze des Zentralrats der Juden?* Friedman: Wir werden sehen, ob junge Leute wirklich besser sind, nur weil sie jung sind. Frau Knobloch hat sich in den vergangenen Jahren die Aufgaben und Verantwortung mit zwei Stellvertretern geteilt. Wenn man sagt, Frau Knoblauch war erfolglos, dann waren es auch ihre Stellvertreter. Einer der Stellvertreter wird Nachfolger. Dann würde er so gesehen mit der Hypothek des Erfolglosen beginnen. Wenn man hingegen sagt, Frau Knoblauch war erfolgreich, dann freue ich mich, dass Herr Graumann auch erfolgreich ist. Ich mag es nicht, dass sich einige auf Kosten von Frau Knoblauch die Hände in Unschuld waschen.