Fuck off, China!
Ai Weiwei liebt seine Heimat. Deshalb provoziert er die Obrigkeit. In China wird er dafür von Polizisten verprügelt, im Westen wird er für seine Konzeptkunst verehrt. Jetzt hätte er seinen Kampf für mehr Menschenrechte fast mit dem Leben bezahlt.

"Ich bin ein leidenschaftlicher Mensch. Deshalb verbrenne ich mir schnell die Finger – manchmal wäre ich gerne ein bisschen weniger leidenschaftlich. Neulich ist mir klar geworden, dass diese Leidenschaft mich zerstören könnte", sagte Ai Weiwei einmal. Das war, bevor ihn seine Unbequemlichkeit zum ersten Mal in ernstliche Gefahr brachte: Als er im Sommer 2009 nach Sichuan reiste, um an einem Prozess gegen einen befreundeten Menschenrechtsaktivisten teilzunehmen, wurde Weiwei kurzzeitig in Haft genommen. Die Spätfolgen der Misshandlungen, die er dort erfuhr, hätten ihn beinahe das Leben gekostet. In München, wo er gerade dabei war, seine nächste große Einzelausstellung vorzubereiten, wurde er im September 2009 notoperiert. Es ist noch einmal alles gut gegangen. Und Weiwei denkt – getreu seinem Ausspruch "I will never die when there is not democracy" - nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. Unter dem Ausstellungsmotto "So Sorry" prangert er in der Münchner Ausstellung ab Mitte Oktober 2009 mit gewohnter Leidenschaftlichkeit das Versagen der Behörden rund um das Erdbeben in Sichuan an – dasselbe Thema, mit dem sich auch Tan Zuoren beschäftigte, der Freund, dem Weiwei in Sichuan zur Hilfe eilen wollte. In der zentralchinesischen Provinz waren in maroden Schulgebäuden während des großen Erdbebens 2008 Tausende von Schulkindern umgekommen. "So Sorry", der Titel der Ausstellung von Ai Weiwei, nimmt Bezug auf Tausende von Entschuldigungen, die Regierungen, Industriebetriebe und Kapitalgesellschaften in letzter Zeit vorgebracht haben, um ihr Bedauern über Tragödien und Fehlverhalten kundzutun - oft ohne für die Konsequenzen geradezustehen und ohne den Wunsch, Fehler zuzugeben, geschweige denn, sie wieder gutzumachen. "Die Wendung 'sorry' scheint mittlerweile eher die Bedeutung von 'fuck off' angenommen zu haben", erklärt Kurator Chris Dercon das Ausstellungskonzept. Leben und Kunst, das sind für Ai Weiwei keine getrennten Sphären. Deutlich wurde das bereits in seinem Beitrag zur Documenta 12, der darin bestand, dass er im Sommer 2007 1.001 Chinesen nach Kassel einlud. Einfach nur einlud, nichts mehr. Die Chinesen machten Urlaub auf Kosten der Kunst – und wurden so selbst Teil der Kunst. Aus seinem zweiten Beitrag zur selben Documenta, die ihn hierzulande auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte, erklärt sich eine weitere Konstante in Weiweis künstlerischem Schaffen: Er arbeitet gerne mit geschichtlich beladenen Fundstücken. So baute er aus Türen und Fenstern alter Häuser, die dem Bauboom in China zum Opfer gefallen waren, eine zwölf Meter hohe Skulptur. Nach einem Unwetter stürzte diese Skulptur in sich zusammen. Ai Weiwei verhinderte den Wiederaufbau: Es sehe doch so viel besser aus als vorher, denn "jetzt wird die Kraft der Natur sichtbar. Und Kunst wird durch solche Emotionen erst schön." Nummer drei der Anmerkungen zu Ai Weiweis Kunstverständnis: Kunst kann sich dem Lebensprozess, der Zeit beugen und trotzdem Kunst bleiben – vielleicht eben dadurch sogar noch gewinnen. 1957 wurde Weiwei in Peking geboren. Weil sein Vater Ai Qing nicht nur Dichter, sondern auch Regimekritiker war, verbrachte Ai seine ersten Lebensjahre nicht in seiner Geburtsstadt, sondern in der Verbannung, erst in Xinjang, dann in der Mandschurei: "Wir lebten damals wirklich in der Wüste, in den gelben Hügeln der Wüste Gobi, wohin die KP unsere Familie verbannt hatte. Tagsüber musste mein Vater öffentliche Toiletten putzen, abends holten ihn die Parteikader zu peinigenden Veranstaltungen ab. Kinder schmissen Steine auf ihn. Auch ich bekam ihre Schläge ab. Meine ganze Kindheit erlebte ich inmitten ständiger Menschenrechtsverletzungen", schrieb er 2007 in der Zeit darüber. Es nimmt also nicht wunder, dass Ai Weiwei sich in seiner Kunst immer wieder mit den Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart beschäftigt, die in China passieren. Mit all seiner Leidenschaft mischt er sich immer wieder ein – übrigens nicht nur künstlerisch, sondern auch in seinem Blog, das täglich 10.000 Menschen besuchen. Seine plakative Kunstsprache ist stark geprägt von einem elfjährigen USA-Aufenthalt, den er 1993 abbrach, um seinen todkranken Vater zu pflegen. Nach dem Tod des Vaters drei Jahre später blieb er da - motiviert von einem Patriotismus der etwas anderen Art, den seine nächste Aktion in China ganz gut illustriert: Für den 1. Oktober, den 60. Gründungstag der Volksrepublik, hat Weiwei zu einem Fotowettbewerb mit Bildern aufgerufen, auf denen Chinesen ihrem Land den Stinkefinger zeigen.