Ich bin allergisch, also bin ich
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Gewöhnen Sie sich wieder das Rauchen an. Das ist schöner, als dauernd Hypochonder-Allergiker zu sein, und Passiv-Rauchen nervt weniger, als ernste Miene zu einer albernen Marotte eines eingebildeten Kranken machen zu müssen, meint Hans-Martin Esser.

Das Thema Verkörperung ist eine zeitgenössische Mode in Soziologie und Kulturphilosophie. Welche physisch messbaren Reaktionen lösen Erfahrungen aus? In welchen Gehirnarealen respektive Körperzonen schlägt sich ein Drama von Sibylle Berg nieder, inwieweit wirken Tarantino Filme anders als solche von David Lynch? Wo laufen einem Schauer bei der Moderation von Florian Silbereisen über den Rücken oder was bewirkt der Anblick von Richard David Precht – und wenn ja wie viele?! Jean Baudrillard hat sich im Buch Kool Killers bereits früh mit der Verkörperung von Gedanken in Schriftform auseinandergesetzt – Graffitis und Schrifttypen repräsentieren auf ästhetisierende Weise dahinterstehende Gedanken und Konzepte. Der Gedanke will manifestiert werden. Ohne Körper funktioniert keine Vorstellung. Es ist wie mit kommunizierenden Röhren. Gedanken verändern Körper, verändern Gedanken. Körperloses Denken funktioniert nicht, neue Sinnlichkeit statt Neuer Sachlichkeit. Ein G20 Gipfel ohne physische Übergriffe – undenkbar. Wo gehobelt wird, müssen Späne fallen. Der Körper als Resonanzraum ist eigentlich eine alte Kamelle. Galt bis vor 20 Jahren Rauchen als Ausdruck qualmender Intellektualität, als Kuppelprodukt des arbeitenden Hirns, ist dieses Ventil nun durch Stigmatisierung der Rauchenden verschlossen. Es ist jedoch wie in alten Zeichentrick-Filmen: hält der Trottel eine Hand auf das Loch der demolierten Wanne, entstehen totsicher 2 neue und so weiter. Das Wasser will hinausfließen. Was tut der durchgegenderte Mensch von heute, wenn er weder qualmt noch Fleisch isst, nicht flucht, keine Sachleistungen, sondern Dienste produziert und sich auch immer weniger in Kindern neu-verkörpert? Er verkörpert sich in Allergien und Phobien.