„Ich lasse komplett die Hosen herunter“
Der ehemalige Profifußballer Andreas Biermann hat den Kampf gegen die Depression beinahe verloren, als er in letzter Sekunde die Notbremse zog. Im Interview mit Alexandra Schade spricht Biermann über den Druck, mit dem Profifußballer zurechtkommen müssen, den Tod von Robert Enke und die wohl schwerste Phase seines Lebens.

*The European: Herr Biermann, zusammenfassend kann man wohl sagen, dass Sie Ihre Erkrankung öffentlich gemacht und danach Ihren Job verloren haben. Als Fußballprofi haben Sie keinen neuen Vertrag erhalten. Haben Sie Ihre Entscheidung je bereut? Würden Sie dieselbe Entscheidung heute noch einmal treffen?* Biermann: Mit dem Abstand von eineinhalb Jahren würde ich das schon noch einmal so machen. Aus beruflicher Sicht bereue ich das natürlich. Wer ist schließlich gern arbeitslos? Allerdings habe ich durch das öffentliche Bekenntnis vielen Betroffenen und Angehörigen Mut gemacht. Von daher habe ich an ideellen Werten wohl mehr gewonnen, als ich das im Fußball noch materiell hätte machen können. *The European: In diversen Foren liest man den Vorwurf, Sie würden sich nur wichtig machen wollen. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Buch?* Biermann: Jeder, der das Buch liest und jeder, der auch bewusst die Interviews liest, die ich bisher gegeben habe, wird ganz schnell merken, dass an dem Vorwurf nichts dran ist. Ich komme in dem Buch nicht gut weg. Es ist zu 100 Prozent offen und ehrlich. Ich lasse dort eigentlich komplett die Hosen herunter, in allen Bereichen. Das ist auch bewusst so gemacht. Ich habe zu Beginn der Therapie gesehen, dass Lügen und Verstellen zu dem Thema überhaupt nichts bringt. Bei mir hat das in Suizidversuchen geendet. Ich habe mir dann geschworen, dass ich nichts mehr verschweigen will und so ist auch das Buch geschrieben. Ich lese solche Foren leider auch und diese sind offenbar ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Vor eineinhalb Jahren hat eigentlich fast jeder gesagt, wie wichtig dieses Thema ist, da es so viel depressiv Erkrankte gibt und dass es Leute braucht, die offen dazu stehen. Und jetzt mache ich das und werde dann dafür teilweise beleidigt und angegriffen. Das gehört vielleicht dazu, ist aber natürlich nicht schön. Es ist nach wie vor so, dass ich mich überhaupt nicht mag. Ich sehe mich nicht gerne in der Zeitung oder im Fernsehen. Würde es andere Leute geben, die an meine Stelle treten wollen und öffentlich zu ihrer Krankheit stehen, dann würde ich das auch nicht mehr machen. Aber wenn ich es nicht mache, macht es eben keiner. Das Thema darf nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden. Deshalb ziehe ich das durch, so gut es geht. Ich merke aber auch, dass meine Ressourcen am Ende sind. Es ist einfach schwierig, wenn man andauernd Gegenwind bekommt und sieht, wie viel Ignoranz weiterhin besteht. Ich bin auch durchaus realistisch und weiß, dass das "Thema Depression(Link)":http://www.theeuropean.de/jo-groebel/1551-enke-und-die-oeffentliche-trauer in einem Jahr vielleicht komplett von der Tagesordnung verschwunden sein wird. Das Problem ist dann aber, dass die Strukturen noch genau so sein werden wie vor eineinhalb Jahren und wir haben doch alle gesehen, wo das hinführt. Ich möchte auch betonen, dass es nicht um mich geht. Ich bin in Therapie. Ich bin stabil und habe die Krankheit im Griff. Aber es gibt so viele, bei denen es eben nicht so ist und deshalb muss man weiter kämpfen, auch wenn es noch so anstrengend ist.