Von Ablenkungsmanövern und Denkverboten
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Der Erste Weltkrieg lässt uns nicht los. Die Überprüfung der Ereignisse in Belgien 1914 und eine mögliche Neubewertung sollte nicht für den Tagesgebrauch politischer Interessen instrumentalisiert werden. Dass aktuelle Forschungsdiskussionen gleich Eingang in den politischen Betrieb halten und so zu Waffen im Meinungskampf um handfeste Interessen werden, kann nur als unglücklich bezeichnet werden.

In den letzten beiden Abschnitten seiner Entgegnung „Nötige Erwiderung auf veritable Ablenkungsmanöver“ vom 23. Januar "kommt Lothar Wieland":http://www.theeuropean.de/lothar-wieland/13408-historikerdebatte-ueber-den-ersten-weltkrieg auf den Kern seines Anliegens zu sprechen. Ihn treibt bei der Debatte um die Zivilistentötungen während des deutschen Vormarsches durch Belgien 1914 die Sorge um, die Forschungsdiskussion könnte genutzt werden, um das Geschichtsverständnis Deutschlands überholen zu wollen und damit eine Neupositionierung der deutschen Außenpolitik zu unterstützen. Doch damit überschätzt Wieland die Relevanz der Geschichtswissenschaft für die aktuellen politischen Entwicklungen. Hätte es zudem noch eines Beispieles bedurft, um zu zeigen, wie unreflektiert und unwissend Spitzenpolitiker sich historischer Begriffe bedienen, dann sei die Forderung von Alexander Dobrindt nach einer „konservativen Revolution“ in Erinnerung gerufen. Auch als Soziologe hätte der CSU-Landesgruppenchef den Begriff „Konservative Revolution“ im historischen Kontext der Weimarer Republik schon vernommen haben können, anstatt ihn so unreflektiert in den politischen Tageskampf zu schleudern. Doch zurück zum eigentlichen Themenkomplex. Die Überprüfung der Ereignisse in Belgien 1914 und eine mögliche Neubewertung vor dem Hintergrund der Veröffentlichung Kellers zu diesem Themenkomplex sollte gerade nicht für den Tagesgebrauch politischer Interessen instrumentalisiert werden. Vielmehr bietet er die Chance, dem Gemälde, welches den Ersten Weltkrieg zeigt, Grautöne hinzuzufügen, wo bislang eine schwarz-weiße Zeichnung überwog. Dass aktuelle Forschungsdiskussionen gleich Eingang in den politischen Betrieb halten und so zu Waffen im Meinungskampf um handfeste Interessen werden, kann nur als unglücklich bezeichnet werden. Denn so schreitet ein Prozess voran, unter dem die Geschichtswissenschaft ohnehin seit einigen Jahrzehnten leidet.