Der Michael Ballack der Politik
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Der Innenminister hat eine Leitkultur-Debatte losgetreten. Das kann nicht schaden, aber nutzen tut es seiner unglücklichen Ministerbilanz auch nicht mehr. Sein Nachfolger steht mit Joachim Herrmann schon bereit.

Thomas de Maizière ist eine Art Michael Ballack der deutschen Politik. Begabt, fleißig, mittig spielend, von Sachsen auf die ganz großen Bühnen vorgestoßen - doch schließlich unglücklich und unvollendet, im entscheidenden Moment auf dem falschen Fuß erwischt. Wenn Deutschland mit der Flüchtlingskrise in allerlei Schwierigkeiten geschlittert ist, wenn Grenzsicherung wie innere Sicherheit wanken, Terroranschläge das Land und seine politische Architektur erschüttern, dann ist das gewiss nicht alleine seine Schuld - aber doch seine Hauptverantwortung. Zur tragischen Wahrheit dieser Legislatur gehört es, dass die Fehler der Berliner Migrationspolitik mit ihm nach Hause gehen. Und so gilt Thomas de Maizière am Ende der Legislatur zwar als integrer und würdiger, aber doch als unglücklicher Innenminister. Er versucht nun sein Bild mit einer Identitätsdebatte aufzuhellen. "Wir sind nicht Burka", schreibt er in einem plakativen Gastbeitrag der "Bild am Sonntag". Sein Zehn-Punkte-Katalog für eine deutsche Leitkultur löst seither eine muntere Debatte aus - wie weiland im Oktober 2000 schon bei Friedrich Merz, als der forderte, Einwanderer müssten sich an die "freiheitliche deutsche Leitkultur" anpassen. Politisch ist die Leitkultur-Initiative ein legitimer Impuls für die Selbstvergewisserung einer verunsicherten Gesellschaft. Die Bewältigung der Zuwanderung und ihrer Konflikte erfordert tatsächlich eine offene Debatte darüber, was eine Gesellschaft wirklich zusammenhält und welche Regeln für ein konfliktfreies Miteinander beachtet werden müssen. Auch für die Neubürger ist es wichtig zu wissen, wohinein, in welchen kulturellen Zusammenhang man sich denn nun genau integrieren soll. Taktisch ist der Vorstoß freilich ein billiges Manöver im Wahlkampf-Jahr. Die Union will ihre skeptisch gewordenen Stammwähler mit der Leitkultur-Frage wieder an sich binden und Deutungshoheit zurückerlangen. Wenn über Werte und Leitkultur geredet wird und nicht über soziale Gerechtigkeit, dann bestimmt die Union die Agenda. Die SPD wittert die Taktik und reagiert darum gereizt, für SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel ist der Vorschlag "eine peinliche Inszenierung". Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt lästert über "Leitkulturbeschwörerei" und fordert den Minister auf, lieber bei der Lösung der vielen praktischen Probleme mit anzupacken. FDP-Chef Christian Lindner wirft de Maizière direkt vor, mit seinen zehn Punkten billigen Wahlkampf zu führen: "Der Beitrag von Herrn de Maizière ist ein Ablenkungsmanöver. Die CDU bringt eine moderne Einwanderungspolitik mit gesetzlicher Grundlage nicht zustande. Stattdessen werden jetzt alte Debatten aufgewärmt." Tatschlich aber ist die Breite der losgetretenen Debatte ein Indiz dafür, dass die Taktik de Maizières aufgeht. Der plötzlich wie abgestellt wirkende Martin Schulz hätte in dieser Woche dringend einen eigenen Aufschlag gebraucht, doch de Maizière hat ihm Show und Thema gestohlen. Persönlich ist der "Wir sind nicht Burka"-Ruf des Innenminister ein Akt der Rehabilitierung. Wie bei Ballack und dessen legendären Manövern um Abschiedsspiele versucht de Maizière sich noch einmal ins rechte Licht zu setzen. Allzu lange hat der Innenminister seiner Kanzlerin blinde Treue in deren Flüchtlingspolitik gehalten. Er begab sich dabei immer wieder in die Pose des Integrationsbeauftragten, Besänftigers und Versöhners - obwohl viele seiner Wähler und Parteifreunde lieber einen schwarzen Sheriff erlebt hätten. Selbst als die Sicherheitsrisiken der Migrationspolitik offenbar wurden, blieb de Maizière der tapferste Merkel-Verteidigungsminister und redete Gefahren eher klein. Nach jedem Anschlag und Übergriff mahnte er vor "Generalverdacht" wie "voreiligen Schlüssen" und forderte "Besonnenheit". Die eigene Partei aber erwartete von ihm eher Entschiedenheit, Sicherheit und klare Worte. Nun findet er sie in der Leitkulturfrage demonstrativ zurück. Doch zugleich gibt er sich damit eine Blöße - die Kluft zwischen Worten und Taten nämlich. Die Opposition erinnert ihn genüßlich daran, dass er bereits Anfang des Jahres Vorschläge zur Sicherheitsarchitektur gemacht habe, die folgenlos geblieben seien. FDP-Chef Lindner findet: "Wir brauchen keinen Innenminister, der folgenlose Debatten anstößt, sondern einen, der real existierende Probleme löst." Ähnlich reagiert auch die Grünen-Chefin Simone Peter. Deutschland brauche keine Debatte über eine Leitkultur, sondern "eine neue Innenpolitik, die Integration voranbringt, rechte Netzwerke prüft und islamistische Gefährder im Auge hat". Für de Maizière kommt das persönliche Leitkultur-Comeback wohl auch darum zu spät, weil in der eigenen Union ein Nachfolger bereits offiziell ausgerufen worden ist. Die CSU schickt Joachim Herrmann als künftigen Innenminister Deutschlands demonstrativ ins Rennen. Herrmann ist in Bayern ein ungewöhnlich populärer Innenminister, gerade weil er die Migrationskrise ganz anders als de Maizière angepackt hat. Herrmann schlüpfte konsequent in die Rolle des Polizisten, Mahners und Beschützers. Er gewinnt damit an Akzeptanz - so sehr, dass manche in ihm bereits den "gefühlten Ministerpräsidenten" der Zukunft sehen. Mit Blick auf die offene Seehofer-Nachfolge jedenfalls steigen seine Chancen. Wo de Maizière merkelhaft besänftigt, spricht der Bayer stets Klartext über die Sicherheitskrise im Land, äußert auch unbequeme Wahrheiten zum Zusammenhang von Flüchtlingszustrom und Terrorismus. Immer wieder wurde Hermann damit zum innenpolitischen Taktgeber der Republik und trieb de Maizière vor sich her. Im Zuge der Flüchtlingskrise drängte er die Bundesregierung zur Verschärfung des Asylrechts und zur Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Dass Deutschland wieder Kontrollen an der Grenze zu Österreich einführte, gilt als Herrmanns Verdienst. "Es kann nicht sein, dass wir nicht wissen, wer sich in unserem Land aufhält", so wiederholte Herrmann immer und immer wieder. Außerdem brachte er eine Obergrenze für Flüchtlinge ins Spiel. Nun fordert er den Einsatz der Bundeswehr zur Terrorbekämpfung sowie eine Verschärfung der Asylregeln für straffällig gewordene Migranten. "Wir müssen auch anderen deutlich machen: Jeder hat die Rechtsordnung dieses Landes zu akzeptieren." Das deutsche Recht stehe über dem Recht des Korans oder der Scharia. Nun hat de Maizière diese Tonlage ein wenig kopiert. Der Zehn-Punkte-Plan wirkt daher so als habe ihn Herrmann schon vor Jahresfrist geschrieben - ein wenig trotzig nach "Mia san mia". Quelle: "n-tv.de":http://www.n-tv.de/politik/politik_person_der_woche/Der-Michael-Ballack-der-Politik-article19818204.html