„Wir werden zu Medienkreaturen“
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Aufgrund des Internets befinden wir uns inmitten eines kognitiven Wandels: allgegenwärtige Daten verändern unsere Wahrnehmung der Welt. Lars Mensel sprach mit dem Autor Nicholas Carr über die Vorteile des Gedruckten, den Verlust der Reflexion und darüber, wie unsere Vorfahren überlebten.

*The European: In der Zeit des aufstrebenden Eisenbahnverkehrs wurde eine Studie veröffentlicht, die davor warnte, schneller als 30 km/h zu reisen, weil dies möglicherweise gesundheitliche Konsequenzen für das Gehirn haben könnte. Nun stehen wir wieder am Beginn eines neuen Zeitalters. Ist das Internet eine Gefahr für unser Denken?* Carr: Die Angst vor physischen Bewegungen unterscheidet sich stark von den Effekten des Internets auf unser Vermögen, Informationen zu sammeln und zu verarbeiten; wir müssen das Netz gesondert betrachten. Ich glaube, das Internet spielt eine ganz andere Rolle für die menschliche Welt: Nie zuvor gab es eine Technologie, die die Menschen in ihrem Alltag so konsequent begleitete und ihnen dabei half, Überlegungen anzustellen und Entscheidungen zu treffen. Dieser Trend hat sich insbesondere mit der Verbreitung mobiler Endgeräte verstärkt. Selbst im Vergleich zu anderen Massenmedien ist unser Verhältnis zu Computern viel intimer, beständiger und hat deswegen mehr Einfluss auf unsere aktuellen Denkprozesse. *The European: Liegt das an der Omnipräsenz der Technologie selbst oder eher an der Art, wie wir mit ihr umgehen? Sie haben erklärt, warum man die Vertiefung in ein Buch nicht mit dem Surfen im Internet vergleichen kann.* Carr: Wenn Sie beobachten, wie jemand das Internet nutzt, sehen Sie, wie er sich darin vertieft: Wir nehmen dann oft kaum wahr, was um uns herum passiert. Aber es ist eine ganz andere Art der Aufmerksamkeit als beim Lesen eines Buches. Printmedien richten unser Augenmerk auf das geschriebene Wort und fördern lineares Denken. Im Gegensatz dazu baut das Internet unsere Aufmerksamkeit nur auf, um sie dann wieder zu zerstreuen. Wir sind einem medialen Trommelfeuer ausgesetzt. Audio-visuelle Stimuli prasseln kontinuierlich auf uns ein und versuchen, unsere Aufmerksamkeit zu erhaschen. Wenn wir uns mit technischen Geräten beschäftigen, sind wir einer ganzen Reihe von Ablenkungen ausgesetzt, anstatt gleichmäßig zu denken.