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> Das Lieblingsfeindeprinzip

Lieblingsfeinde, Langweilerfreunde

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Die fiesen Typen unterhalten uns stets am besten. Während im Privatleben schon ganze Ehen auf diese Weise entstanden sind, bedeutet es Nervenkitzel und Unterhaltung, wenn unsere Lieblingsfeinde im Fernsehen auftauchen.

The European

Von wegen, die Sympathischsten sind im TV am beliebtesten. Sehr erfolgreich sind jedenfalls beim Publikum immer die Fiesen. Was hatten und haben Franz-Josef Strauß, Herbert Wehner und Dieter Bohlen gemein? Bestimmt nicht das Format in vielen Bedeutungen des Wortes. Aber die Polarisierung, das wohlige Gruseln, mit denen man sich begeistert über sie echauffiert(e). Vielleicht ist die Mediengeschichte auch eine der Geschichte derer, zu denen es das Wort bereits sagt: Der Lieblingsfeinde. Früher meist aus der Politik, heute mit Ausnahme vielleicht von Lafontaine aus dem Boulevard. Politiker trauen sich nix mehr. Profil und Charisma sind definiert über schlechte Manieren und werden uns mit schnellem Verbrauchsdatum da geboten, wo’s um nichts geht. Dreiste Dusseltussen und hohle Hirnloshelden sind die neuen Erfolgsgaranten fürs Aufregerfernsehen. Symptome sind körperliche Spannung, angenehm, und gemeinsames Lästern, begeistert, Resistenz gegen Argumente, hartnäckig. Die Faszination für Antipathieträger ist uns archaisch zu Eigen. Schon im Kasperltheater wird der Teufel mit großem Entzücken begrüßt. Und beginnt die Entwicklung zur wonnigen Erotik des Gefährlichen. Die Bitch ist interessanter als die Liebevolle, der Filou attraktiver als der Loyale. Jedenfalls in der Fiktion. Und manchmal in der Wirklichkeit… Wie blöd sind wir eigentlich? Gar nicht. Denn wir haben sehr wohl Gründe für die Lieblingsfeinde. Ein ganzes Bündel von Erkenntnissen aus Seelenkunde und Gruppenforschung bietet die Erklärung.

Der Nervenkitzel bleibt
Neben Essen und Trinken sind fürs Überleben unsere Warnreflexe am wichtigsten. Blitze, Feinde, bedrohliche Geräusche werden mit sofortiger Aufmerksamkeit, sprich physiologischer Erregung honoriert. Mehr als nette Leute und seelige Landschaften. Auf dem Bildschirm funktionieren die Signale immer noch. Bei aggressiven Moderatoren, Politikern, Fernsehrollen. Die Warnreflexe dazu auch. Doch sind wir sicher auf der Couch. Also bleibt nur der angenehme Nervenkitzel. Voilà! Dann gibt’s da auch die Negativbindung. Lieblingsfeinde sind oft die, die an eigene Schlechterfahrungen erinnern. Mit Papa, Mama, Dem Ex, der Ex. Wir übertragen unsere Abneigung konzentriert auf dazu passende Objekte, binden uns zugleich (weiter) an sie. Ganze Ehen sind so schon zustande gekommen. Und TV-Erfolge sowieso. Der arme Lieblingsfeind wird so zum Ventil. Leidenschaft schafft nicht zuletzt der Sozialvergleich. Nichts ist schöner, als sich moralisch, äußerlich, könnerisch über andere zu erheben. Je mehr man andere und je mehr andere man runtermachen kann, desto größer wird man selbst. Mancher Hämeblogger hat’s zum Lebensziel erkoren. Funktionieren tut’s vor allem kollektiv. Beim TV. Dummheit, Dreistigkeit, Durchstechen anderer werden nur zu gerne zum Thema ganzer Genres. Explizit und implizit. Was wäre Casting ohne Deppen, was der Talk ohne den Fiesen. Lieblingsfeindefernsehen lebt.
Neid ist ein Wundermotor
Auch aufgrund des Umgekehrten. Statt der Überlegenheit der Neid. Oder beides. Insgeheim fühlen wir uns vielen „Fiesen“ unterlegen. Neid ist ein Wundermotor. Andere kriegen, was doch eigentlich uns gebühren würde. Wenn mit Impertinenz und ohne Scham die talentlose Schnepfe reich oder zumindest berühmt wird, frag Katie Price und Naddel. Wenn der flegelhafte Proll skrupellos Extremvokabular benutzt und auch noch Sendezeit kriegt, frag falsche Prinzen und echte Mandatsträger: den braven Differenzierten ärgert’s. Egal ob in Casting oder Politik. Schließlich gibt’s auch Sachlichgründe. Der Lieblingsfeind repräsentiert Werte, die unseren diametral entgegenstehen. Er gehört einer Gruppe an, die sich quer zu meiner verhält. Gerade Medienverhalten hat viel mit ständiger sozialer Selbstvergewisserung zu tun. Fragt Klugscheißer, Schöngeiste, alte Rocker. Nenn mir Deinen Lieblingsfeind, ich sag Dir, wer Du bist. Ganze Genres leben vom Lieblingsfeindeprinzip. Historische Figuren wie Hitler, Stalin, Mao garantieren durch Faszination zwar Quoten, sind aber zu monströs für die Kategorie. Meist bleibt der Lieblingsfeind noch irgendwie fassbar, siehe oben. Also sind es die Nachrichten mit den politischen Gegnern. Talks und Castings werden entsprechend besetzt. Das eint Lafontaine mit der Klumschen Standardbitch. Beim Boulevardmagazin machen Lieblingsfiese mindestens die Hälfte aus, bei Trash- und (Neu-)Reichendokus alles. Übrigens heißt mein Aufreger Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Er soll ein netter Kerl sein, ist sicher intelligent. Ich will’s gar nicht wissen. Aus einem netten Dialekt macht er für mich einen flapsig-arroganten Aufreizrheinakzent. Mit Fiesfrisur und Fehlfarbenfliegen erfreut er mein Herz. Mit starrem Brillenblick weiß und macht er alles besser als jeder andere. Karl Lauterbach, ich mag Sie nicht missen! Und wer jetzt mich zum Lieblingsfeind erkiest, nur zu. Es hat ja was. Siehe Erotik, siehe Neid…
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