Von der Unsterblichkeit der Seele
Posener und Görlach setzen ihr Streitgespräch über das Leben nach dem Tod fort. Kern des Dissenses ist das Leib-Seele-Problem, das auch in der Bibel nicht abschließend aufgelöst werden kann.

*Posener: Durch meine Frau habe ich eine weit verzweigte katholische Verwandtschaft. Als vor einigen Jahren ein mir sehr lieber Mensch aus dieser Verwandtschaft starb, fuhren wir hinunter nach Bayern zur Totenmesse mit Aussegnung, Begräbnis und anschließendem Leichenschmaus. Mir fiel auf, dass den Angehörigen dieses bekannte, immer gleiche Ritual sehr viel Trost brachte. Umgekehrt musste ich in der letzten Zeit an so manchen Trauerfeierlichkeiten für Freunde teilnehmen. Sie wurden areligiös gestaltet, und die Unbeholfenheit war peinlich. Es ist aber auch klar: Durch Jahrhunderte haben wir in Europa das Jahr und das Leben mit den Ritualen einer bestimmten Religion abgesteckt, und diese Rituale haben ihre Schönheit und ihre Würde. Mit dem Eintritt in eine säkulare Epoche merken wir einen Verlust. Man kann, wie etwa der von uns beiden verehrte Astronom und Agnostiker Martin Rees, die Schlussfolgerung ziehen, "kultureller Christ" zu bleiben. Das ist in der anglikanischen Kirche, die immer zuerst englische Nationalkirche war und sich immer eine gewisse Selbstironie erlaubt hat wie die Monarchie, womöglich leichter als etwa in der katholischen, zumal in der Kirche Benedikts mit ihrem kompromisslosen Nein zum "Relativismus". Aber am Ende halte ich das kulturelle Christentum nicht für zukunftsweisend. Die Menschheit muss sich mit ihrer Endlichkeit im individuellen Leben und als Spezies abfinden und neue, würdige Rituale finden, die nicht auf verlogenen, nicht überprüfbaren Versprechungen ewigen Lebens gründen.* Görlach: Ein kulturelles Christentum funktioniert nur (noch) so lange, wie es gläubige Christen gibt. Wenn es um Lebensgestaltung geht, bejahen die meisten Aufklärer das gute Beispiel Jesu und die daraus abgeleitete christliche Ethik. Wir können als Gesellschaft Weihnachten feiern, ohne jedes Dogma der christlichen Religion zu bejahen. Jede Generation erschließt sich das religiöse Erbe neu. Wir werden sehen, ob der 25.12. im Jahr 2050 immer noch ein Feiertag ist. Schön, dass Sie auf Lord Rees zu sprechen kommen: Er sagt, dass unsere Hirne zum Überleben in der Savanne gemacht sind, wir aber heute bis in die fernsten Galaxien blicken können. Für mich ist der Schluss daraus nicht, den Glauben an einen Schöpfer aufzugeben, denn die Kraft, die der Kosmos ausstrahlt, kann nur zu Begeisterung führen und zu der Frage, woher dies alles kommt und was das Universum zusammenhält. Der Begriff der Unendlichkeit hat in der Anschauung des großen Ganzen eine eigene Signifikanz: Wenn das, was uns umgibt, ohne Ende ist, warum soll meinem Leben ein Ende beschieden sein?