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> Das Grauen der Schoah

Oma war Nazi

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Die israelische Regierung kommt zu einer Kabinettssitzung nach Berlin. Im Zentrum des ehemaligen Dritten Reiches sagen Frau Merkel und Herr Netanjahu: Normal werden die Beziehungen zwischen Juden und Deutschen nicht. Zumindest so lange nicht, meint The-European-Chefredakteur Alexander Görlach, wie die Menschen noch unter uns leben, die als Täterinnen und Täter infrage kommen: unsere Omas und Opas.

The European

Die erste gemeinsame Kabinettssitzung einer israelischen und einer deutschen Regierung. Die Beziehungen beider Länder werden für immer im Zeichen der Schoah stehen, dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden. Angela Merkel und Benjamin Netanjahu sagen das bei ihrer Begegnung in Berlin, stellvertretend für Juden und Deutsche. Beide Seiten sehnen sich gleichzeitig nach einer Normalisierung, die es aber aufgrund der Schoah nicht geben kann – noch nicht? Ich frage mich, was eigentlich genau meine Großväter während der Zeit des Dritten Reiches gemacht haben. Sie waren Soldaten. Das waren viele. Waren sie Mitglied in der NSDAP? Waren sie überzeugte Nazis? Waren Sie Mitläufer oder gar im Widerstand? Bei uns im Dorf, in dem ich meine Kindheit verbracht habe, wurde über den Krieg nicht gesprochen. Bei meinen Großeltern nicht und bei denen meiner Schulfreunde auch nicht. Die Opas trafen sich zum Kartenspielen und zum Schoppentrinken: Dort haben sie über den Krieg geredet. "Über die Gefangenschaft", wie mein Großvater sagte.

Es könnte auch meine Oma gewesen sein
Ich habe meine beiden Großväter nicht danach gefragt, was sie im Dritten Reich gemacht haben. Der eine starb 1989, da war ich zu jung, um ihn zu fragen. Der andere starb 1997, da war er zu alt, als dass ich ihn hätte fragen wollen. Von den beiden Großmüttern weiß ich nichts, außer dass sie beim BDM waren - wie so ziemlich jedes Mädchen damals. Es gab auch Nazinnen, so viel steht fest. Es könnte auch meine Oma gewesen sein. Aber: Wer nicht fragt, bekommt auch keine Antwort. Vielleicht habe ich auch nicht gefragt, weil ich Angst vor der Reaktion hatte: Vielleicht würden sie mir ja etwas sagen, was ich nicht hören möchte. Alle vier haben ihre Erinnerungen mitgenommen. Wie so viele andere auch. Bei dem Gedanken, dass die eigenen Großväter und -mütter, die einen liebevoll auf dem Schoß geschaukelt haben, etwas mit der menschenverachtenden und gottlosen Ideologie des Dritten Reiches und seiner Tötungsmaschinerie zu tun gehabt haben könnten, dreht sich mir der Magen um.
Die Bürde ist zu groß
Erst wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sind, sage ich mir, können sich Juden und Deutsche wieder vorbehaltlos begegnen. Die Bürde ist zu groß, die wir Deutschen jetzt noch in Gestalt unserer noch lebenden Familienmitglieder mit uns herumschleppen. Vielleicht wird ein normales Verhältnis erst mit der jetzt heranwachsenden Generation möglich sein, denn sie haben die Akteure der grausamen Zeit nicht mehr gekannt. Können wir dann noch gedenken? Ja, weil die Jungen dann objektiver fragen werden, weil die neue Generation schonungsloser die Geschichte befragen wird. Opa ist dann nicht mehr zu alt, um ihn nach dem Krieg zu fragen. Alle Fakten liegen auf dem Tisch: Nichts daran ist zu beschönigen. Das Grauen der Schoah ist unüberbietbar. Tiefstrot steht die Scham darüber ins Gesicht geschrieben, dass die eigenen Großeltern etwas mit den Gräueln des Dritten Reiches zu tun gehabt haben könnten. Gedenken wird dann nach vorne gerichtet sein: nie wieder! Das bleibt der Auftrag.
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