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Politik > Christian Lindner - Der Ampelmann

Als Staatsmann ist Christian Lindner rhetorisch versierter als Olaf Scholz

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Christian Lindner tritt bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages als der Staatsmann der neuen Bundesregierung auf. Und er zeigt: Es ist besser, gut zu sprechen als nicht zu regieren. Von Paul Emtsev.

Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Es sollte die große Inszenierung der Fortschrittlichkeit werden. In breiter Front liefen die Parteispitzen gemeinsam über den Parkplatz zur Pressekonferenz im Berliner Westhafen. Es fehlte nur noch die Einmarschmusik, und man hätte denken können, es wäre die Ankunft des Boxers Olaf Scholz, der mit seinem Betreuerteam die Arena betritt. Für das Pressefoto zeigt Scholz etwas gezwungen mit dem Zeigefinger in die Kameras. Wahrscheinlich haben ihm seine Berater zugeflüstert, das würde auch fortschrittlich wirken, so ein bisschen amerikanisch-präsidentiell.

In der Halle selbst springt eine unglaublich grelle LED-Wand ins Auge, die den Slogan der neuen Koalition präsentiert: Mehr Fortschritt wagen. Optisch gewagt sind vor der riesigen Leuchtreklame auch die vielen dunklen Anzüge von Scholz, Habeck, Baerbock und Lindner. Das erste offizielle Gruppenbild der bunten Truppe kriselt – nicht wegen der Ampelfarben, sondern aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse. Als die Pressekonferenz losgeht, hört man im Hintergrund noch einen Techniker ins Mikrofon murmeln: „Gott ist die Akustik beschissen“.

Ein Wiederholer unter Erstklässlern

Tatsächlich hallt die Stimme von Olaf Scholz durch den Raum wie in einer Kirche. Seine großteils wörtlich abgelesene Rede bekommt dadurch den Beigeschmack einer Predigt. „Corona ist nach wie vor nicht besiegt – leider“. Selbst für einen Gottesdienst wären solche Sätze rhetorisch wenig ambitioniert. In Kombination mit den betreten dreinschauenden Gesichtern der anderen Koalitionäre fällt es schwer, an einen dynamischen Aufbruch in eine coronafreie Zukunft zu glauben.

Es hagelt Versprecher. Olaf Scholz nennt seinen Parteichef „Norbert Walter-Worjans“ – das ist worrying. Dann fängt Robert Habeck mit seiner Rede an, bevor für den zukünftigen Kanzler geklatscht wurde. Seinen anschließenden Satz „Und ich wartete noch auf den Applaus und dann kam er verspätet“ sollte er sich jetzt schon für seine Memoiren aufheben. Mit bedrückter Stimme erinnert er an die „Booster-Impfung“. Als später Saskia Esken sprechen will, interveniert er: „Saskia, Annalena ist dran!“ Esken fragt verwirrt: „Ist das so?“ Auch Annalena Baerbock ist sichtlich nervös, spricht von „Modernisierung“ von Land und Staat, von Deutschland als einer der größten „Industrienationen“ der Welt, von einer „kriselgroßen“ Menschheitsaufgabe.

Jedem Anfang wohnt auch etwas Nervosität inne. Jede Bildung einer neuen Regierung ist aufregend und stressig für alle Beteiligten, insbesondere unter den aktuellen Umständen. Erste und wichtigste Aufgabe einer neuen Regierung ist es allerdings, sich diese Nervosität nicht anmerken zu lassen. Auf dem Papier hat sich die Ampel viel versprochen. Auf der Bühne wirkt die Koalition aber nicht besonders vielversprechend. Alte Erinnerungen an den eigenen ersten Schultag kommen hoch. Es fehlt nur noch, dass Angela Merkel aufs Podest kommt und Schultüten verteilt. Doch es gibt unter den vielen Erstklässlern auch noch einen Wiederholer, der aus seiner verfehlten Einschulung von 2017 gelernt hat.

Der selbsternannte Staatsmann

Christian Lindner wagt den Fortschritt in die Rolle, die man eher von einem zukünftigen Bundeskanzler Scholz, einem Vizekanzler Habeck oder einer Außenministerin Baerbock erwarten würde: Die Rolle des Staatsmannes beziehungsweise der Staatsfrau. Lindner spricht mit ruhiger Stimme, langsam, er artikuliert seine Wörter richtig aus. Im Vergleich zum lässig angelehnten Habeck oder zur überkorrekten Steifigkeit von Scholz zeigt er eine souveräne Körperhaltung, die signalisiert: Ich bin bereit. Er redet frei und sucht den Blickkontakt zum Publikum. All das gehört zu den Selbstverständlichkeiten der guten Rede. Es ist der Kontrast zu seinen unsicheren Kabinettskollegen, der Lindner leuchten lässt.

Lindner wählt auch inhaltlich die richtigen Akzente. Er beginnt mit der Aussage, man übernehme „Verantwortung für ein Land, das in einer tiefen und nicht überwundenen Gesundheitskrise steckt“. Er ruft mit besonnener Mine und klarer Sprache zum Impfen und zu Kontakteinschränkungen auf. Das staatliche Krisenmanagement werde nun „optimiert“, um „Schaden abzuwenden von diesem Land“. Es ist die Art von verständlicher Sprache, die in einer Zeit großer Unruhe so nötig ist. Ganz unabhängig davon, was die neue Regierung letztlich umsetzen wird, geht Lindner den ersten Schritt: Er betreibt souveräne politische Kommunikation. In der Pandemie ist diese Fähigkeit zum raren Gut geworden.

Parteivorsitzender, Finanzminister, Regierungssprecher

Die Gespräche seien genauso kontrovers gewesen, wie sie diskret waren, betont Lindner. Sozialdemokraten und Grüne könnten jetzt aber „stolz sein auf das, was sie in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben“. Er nennt die Koalitionspartner „starke Verhandler mit guten Argumenten“, die in ihren Parteien gut für dieses Verhandlungsergebnis werben könnten. Dieses offene Lob zeugt nicht nur von Stil, sondern vor allem von professioneller Verhandlungsführung. Angesichts der vielen liberalen Akzente im Koalitionsvertrag tut die FDP strategisch gut daran, den anderen Parteien gegenüber gönnerhaft aufzutreten.

Nach der anständigen Honorierung des Verhandlungsergebnisses spricht Lindner als Stimme der Koalition. Es sei der „Wunsch nach Veränderung“, der die Parteien vereine, die Überwindung des status quo. Man wolle das Land modernisieren. Die Ampel sei eine „Regierung der Mitte, die das Land nach vorne führt“. Es sei keine Koalition des „Ausschließens“, sondern der „komplementären Politik“. In fünf Punkten fasst er anschließend die wichtigsten Inhalte des Koalitionsvertrages zusammen. Stark verkürzt, ja, aber dafür verständlich. Das Programm bestehe aus „Trendwenden“, aber auch aus „Kontinuität“. Deutschland bleibe „Anwalt solider Finanzen“ und „verlässlicher Partner“ für das Ausland. Er ist ein floskelhaft gemaltes Bild, eine rhetorische Skizze aus Schlagwörtern. Aber immerhin: Man kann sich etwas darunter vorstellen.

Schließlich erfüllt Lindner noch eine weitere, wichtige Aufgabe: Er wirbt um die Gunst der Öffentlichkeit. Man sei angewiesen auf die Unterstützung aus Gesellschaft und Wirtschaft, auch von derjenigen, die die Koalition nicht gewählt hätten. Und er beendet seine Rede meisterhaft, indem er das Schlaglicht wieder auf Olaf Scholz richtet. Eine „starke Führungspersönlichkeit“ sei er, der über die nötige Erfahrung und Professionalität verfüge. In den Worten Egon Bahrs lobt er, Scholz hätte das „innere Geländer“, um das Land nach vorne zu führen und zu repräsentieren. Viel besser kann man einem Sozialdemokraten wohl nicht schmeicheln. Seine Rede endet mit dem Satz: „Deshalb wird Olaf Scholz ein starker Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sein“. Es ist die rhetorische Starthilfe, die Scholz in der öffentlichen Wahrnehmung dringend braucht.

Die halbe Miete

Auch innerhalb seiner eigenen Partei ist Lindner derjenige, der die kommunikativen Ausrutscher seiner Parteifreunde überstrahlt. Wolfgang Kubicki hat mit seinen neueren Eskapaden gegen Weltärztepräsident Montgomery („Saddam Hussein der Ärzteschaft“) und Karl Lauterbach („Spacken“) viel Kritik geerntet. Auch andere liberale Frontkämpfer wie Christine Aschenberg-Dugnus („Dass es so aus dem Ruder läuft, war mir etwas später erst klar“) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann („Impfpflicht ist nicht Impfzwang“) geben in der Pandemie nicht die besten sprachlichen Figuren ab. Der zukünftige Verkehrsminister Volker Wissing ist in seiner neuen Rolle ebenfalls noch nicht ganz trittfest: Bei Sandra Maischberger nannte er seinen zukünftigen Regierungschef kurzum Olaf Schmidt. Es gibt eben nur einen Christian Lindner.

Das Amt des Regierungssprechers würde man Lindner wohl auf Anhieb zutrauen. Als Finanzminister wird er sich erst noch beweisen müssen – nicht nur mit guten Worten, sondern vor allem auch mit den richtigen Taten. In Zeiten von politischem Chaos und gesellschaftlicher Unsicherheit ist ein sicherer Auftritt aber schon die halbe Miete. Ein Finanzexperte weiß, wie viel das auf dem aktuellen Wohnungsmarkt wert ist.

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