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> Chinas kommunistische Partei

Zehn Jahre Restlaufzeit

Chinas kommunistische Partei hat ihren neunzigsten Geburtstag in Pomp zelebriert. Doch Maos einstige Machtbastion ist zur Mumie verkommen: Der Kapitalismus ist nicht aufzuhalten, auch nicht in China. Es steht zu hoffen, dass die Partei ihren hundertsten Geburtstag nicht mehr feiern wird.

The European

Ein rotes Fahnenmeer wogt in den Straßen und über die Plätze, geballte Fäuste recken sich gen Himmel, hinter Spruchbändern sammeln sich Parkas, deren Taschen mit faulen Eiern, Farbbeuteln, Zwillen und Steinen gefüllt sind; manche Hände umklammern mit Benzin gefüllte Flaschen, aus denen Stofffetzen ragen, sogenannte Molotow-Cocktails, und tausend Kehlen skandieren den Schlachtruf: „Ho, Ho, Ho Chi Minh!“ In Berlin, Frankfurt und Paris und vielen anderen Städten der westlichen Welt verehrten Studenten und intellektuelle Eliten „Onkel Ho“. Der 1969 verstorbene Revolutionsführer und nordvietnamesische Präsident war Organisator der sogenannten Befreiungskriege gegen die in Indochina vorherrschende französische Kolonialmacht und die nach deren katastrophaler Niederlage in Dien Bien Phu im Mai 1954 nachrückenden US-Truppen. Nach ihm war jener legendäre „Ho-Chi-Minh-Pfad“ von Nord- nach Südvietnam benannt, dessen Nachschubfunktion die B-52-Bomber der Amerikaner trotz gewaltiger Bombenteppiche und des Versprühens des Dioxins „Agent Orange“ im Mekong-Delta nie unterbrechen konnten. Rund 70.000 US-Soldaten fielen in dem die USA traumatisierenden Vietnamkrieg. Wie der bis zum heutigen Tag offiziell nicht beendete Koreakrieg (1950-53) diente auch der Vietnamkrieg (1946–75) auf Grundlage der sogenannten Dominotheorie von US-Präsident Dwight D. Eisenhower der Eindämmung des geopolitischen Expansionsstrebens der Sowjetunion und der chinesischen Volksrepublik.

Glückliches Leben statt Gewaltenteilung
Beide Riesenreiche hatten ihre gesamte Staats- und Gesellschaftsordnung nach den Ideen der kommunistischen Ideologie ausgerichtet, die von dem deutschen Sozialphilosophen und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx (1818–83) begründet und von dem Sowjetführer Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924) nach der Oktoberrevolution 1917 in die Praxis umgesetzt worden war. Während die sozialistischen oder sich selbst als kommunistisch bezeichnenden Regime im hegemonialen Raum der UdSSR nach den friedlichen Revolutionen von 1989/90 zusammengebrochen und bis auf diktatorische Reste wie in Weißrussland weitgehend verschwunden sind, fristen außerhalb Europas noch immer einige sich kommunistisch nennende Parteien und Einparteienstaaten ihr Überleben, wie Kuba oder Nordkorea. Die chinesische kommunistische Partei aber hält das gelbe Riesenreich mit weit über einer Milliarde Menschen weiterhin fest im Griff. Dort lässt die Staats- und Parteiführung von Tausenden roten Marionetten als lebendes Fahnenmeer in streng militärisch-zeremoniellem Pomp den 90. Geburtstag der KP feiern, die mit 80 Millionen Mitgliedern heute die größte, reichste und mächtigste Partei der Welt ist. Und von Neuem huldigt sie ihrem größten Führer Mao Tse Tung (1893–1976), dessen menschenverachtende Gewaltherrschaft 70 Millionen Chinesen das Leben gekostet hat. Brav schaute er aus, der wie ein westlicher Manager gekleidete chinesische Staatschef Wen Jiabao, als er in der vergangenen Woche mit der größten bislang im Ausland aufgetretenen chinesischen Regierungsdelegation dem von Angela Merkel angeführten Bundeskabinett seine Aufwartung machte. Dabei erwägen die Pekinger Politik- und Parteimanager keinen Moment die Implementierung von Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, einem Mehrparteiensystem, freien Wahlen und Demokratie. Noch immer folgen sie den Worten des großen Vorsitzenden Mao, der in einem kleinen roten Büchlein, der „Mao-Bibel“ (1967), verordnete: „Die kommunistische Partei ist der führende Kern des ganzen chinesischen Volkes.“ Auf der Basis von Marxismus und Leninismus seien Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Militär zu errichten. Zentrale Aufgabe sei es, das chinesische Volk „einem glücklichen Leben zuzuführen“. Heute ist die Volksrepublik China ein rasant wachsender globaler Investor, schafft in atemberaubenden Tempo mit einer 42 Kilometer langen und damit weltgrößten Meeresbrücke, mit gigantischen Staudammprojekten und pfeilschnellen Schienensystemen eine einzigartige Hightechstruktur, stampft Metropolen aus dem Boden und zieht Kapital aus aller Welt wie das Licht die Motten an. Fast scheint es, als trete China als der größte der rabiaten Kapitalisten an; Menschen- und Bürgerrechte, Patent- und Umweltschutz: Fehlanzeige. Hat also in China die Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) von Rudolf Hilferding und Lenin mit dem Modell der von Ludwig Erhard initiierten Sozialen Marktwirtschaft und deren realisierter Forderung nach einem „Wohlstand für alle“ gleichgezogen? Oder ist das heutige China von den die 68er-Bewegung einst euphorisierenden Idealen abgeglitten in eine absolutistische Diktatur mit einem für vulgäre Despoten und autokratische Gewaltherrscher üblichen Willkürregime?
Wo ist der neue Mensch geblieben?
Dem US-Politikwissenschafter und Philosophen Eric Voegelin (1901–85) verdanken wir eine intensive Untersuchung über „die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit“, worunter er auch den Kommunismus als Pseudoreligion zählt. Charakteristika solcher Bewegungen sind nach Voegelin, dass Gnostiker den „Grund“ aller „Übelstände“ erkennen: Nicht der Mensch, sondern die Umstände, also die „Welt“, ist strukturell schlecht organisiert. Ihre Seinsordnung kann aber in einem historischen Erlösungsprozess vom Menschen selbst umfassend neu, gerecht und vollkommen organisiert werden. Die Erforschung der „Rezepte zur Selbst- und Welterlösung“ obliegt pseudoreligiösen Propheten, die ihr „Erlösungswissen der Menschheit verkünden“. „Das Kapital“ (1867) von Marx und die „Mao-Bibel“ sind – ebenso wie Adolf Hitlers „Mein Kampf“ (1925) – nach dem deutschen Politikwissenschaftler Hans Buchheim solche Basisdokumente einer menschlich-totalitären Herrschaft ohne Gottesbezug. Buchheim sieht im Totalitarismus nicht nur eine tyrannische Herrschaftsform mit umfassender Rechtlosigkeit, sondern den „Anspruch auf die uneingeschränkte Verfügbarkeit der Welt und somit auch des sozialen Lebens, umgesetzt in politische Aktion“. Es geht um das, was auch die untergehende DDR-Nomenklatura mit aller Vermessenheit noch bis in ihre letzten Tage hinein wollte: Durch notfalls auch gewaltsame Umerziehung, Zerstörung und Vernichtung einen neuen Menschen mit einem neuen sozialistischen Bewusstsein schaffen. Davon ist China heute – Gott sei Dank – abgerückt. Statt der „égalité“ der französischen Revolution will die KP nur mehr überleben, um dem aufkeimenden Kapitalismus zum Erfolg zu verhelfen und soziale Auseinandersetzungen und ethnische Konflikte niederzuhalten. Sie ist die faulende Mumie einer feudalistischen Politökonomie, die sich mit einer die personale Würde des Menschen missachtenden „asiatischen Methodik“ (Alexander Solschenizyn) als ökonomisch erfolgreiches Gewaltregime noch ein paar Jahre Überlebenszeit erzwingt. Die Hoffnung wächst, dass die KP keine hundert Jahre alt wird.
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