Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
> Chaos nach dem Arabischen Frühling

Artikel 4 für Kairo

Vor lauter Euphorie über die geschassten Diktatoren im Nahen Osten achten wenige auf die Situation von religiösen Minderheiten. Doch auch sie verdienen einen Neuanfang.

The European

Libyen ist instabil. Libyen hat unendliche Gewalt gesehen, Horden von herumballernden und mehr oder weniger organisierten Gruppen - in unseren Medien als „Die Aufständischen“ bezeichnet, haben um ihre Freiheit gekämpft, und die ist noch nicht gewonnen. Stammeskonflikte, Öl, Handelsbeziehungen zu den europäischen Nachbarn im Norden, Religionen, die Flüchtlingsströme aus Afrika gen Norden, Generationskonflikte, Kriegsgewinnler: So ein Bürgerkrieg bringt alle Kräfte zum Vorschein, alle wollen in der neuen Demokratie ihr Sagen haben.

Hass und Gewalt sind wieder am Werk
Spätestens seit dem "Gewaltausbruch in Ägypten zwischen koptischen Christen und Muslimen":http://theeuropean.de/alexander-goerlach/8424-gewalt-in-kairo-2 aber dürfte klar sein, dass die Dinge mit der jungen Demokratie so einfach nicht sind. Der Jubel über die Facebook-Demokratie war der Anfang, alles war gut, weil die Netzwerker sich als Shaker und Maker der Zukunft fühlen durften. Spätestens jetzt aber sehen wir die uralten Kräfte wieder am Werk: Hass und Gewalt, Armut und Intoleranz, Not und Verführung. Keine Rede von den Facebook-Revolutionären, die eine neue Welt aufbauen. Und was in Ägypten passiert, muss nicht auf Ägypten beschränkt bleiben. Syrien zum Beispiel: Vertreter der dortigen Christen erregen Aufsehen mit Interviews, in denen sie davon sprechen, dass von den Demonstranten mehr Gewalt ausgehe als von der Armee und dass für die kleinen und zunehmend unter Druck geratenden christlichen Gemeinschaften die Stabilität des Assad-Regimes ihren Nutzen hat. Sie haben mehr Angst vor dem Chaos als vor dem Regime. Kann man es ihnen verdenken? Sie wollen nicht auf dem Altar des Umsturzes geopfert werden. Sie denken an die Vertreibung der Gemeinden im Irak nach der Befreiung vom Saddam-Regime: Nach fast 2000-jähriger Geschichte werden diese Minderheiten von der mit europäischer und US-amerikanischer Hilfe am Leben erhaltenen Sozialordnung vertrieben. Das alles ist nicht als ein Plädoyer für die Diktatoren zu verstehen. Auf keinen Fall. Es ist aber zu verstehen als eine Aufforderung, genauer hinzusehen. Wir lieben den Blick auf die scharfen Kontraste. Assad oder nicht Assad, Gaddafi oder nicht Gaddafi, das ist einfach zu berichten und gibt "spannende Geschichten ab":http://www.theeuropean.de/debatte/5613-demokratisierung-im-nahen-osten. Aber die Vertreibung eines Diktators macht noch keine Demokratie. Auch die Wahlen, die jetzt anstehen - die ersten am 23. Oktober in Tunesien - machen noch keine Demokratie. Ohne demokratische Gesinnung und Minderheitenschutz kann es keine Demokratie geben, das muss auch für Christen gelten. Freiheit ist kein absoluter Begriff, man kann Freiheit nicht digital verstehen: entweder ja oder nein. Freiheit und Demokratie müssen umworben werden, sie müssen gewollt werden, und sie dürfen nicht auf Kosten von Minderheiten gehen. Die Freiheit endet schließlich immer an der Freiheit des anderen. Noch einmal Libyen: Der Vatikan hat mit dem neuen Regime erste Kontakte aufgebaut, der Botschafter Tommaso Caputo trifft sich mit Vertretern des Rates. Schritt für Schritt muss sichergestellt werden, dass die Verschiedenheit Geltung haben kann. Die Minderheiten haben Freunde im Ausland, nicht nur den Vatikan, auch andere christliche Gruppen. Es soll keine Bevorzugungen geben, aber es muss die Gleichbehandlung sichergestellt werden. Gerade in Ländern ohne demokratische Tradition darf nicht der Eindruck entstehen, dass Freiheit bedeute, dass der Stärkste sich schließlich durchsetzt. Dann wäre das doch nur wieder eine Abfolge von Diktatoren, wie wir sie in den letzten 50 Jahren gesehen haben.
Niemand darf der Demokratie geopfert werden
Schon im März hatte Papst Benedikt XVI. mit Blick auf Libyen gefordert, auch „die schwächsten Signale der Dialogbereitschaft“ zu nutzen. Das mag man als Unterstützung für die Gewalttäter im Regime gelesen haben, ist aber, wie wir jetzt in Ägypten sehen, der einzige Weg. Demokratie ist keine reine Lehre, sie muss gewonnen werden, um sie muss geworben werden. Und geopfert darf ihr niemand werden, schon gar nicht die Minderheiten.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!
Neuen Kommentar schreiben