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> Bürgerkrieg in Syrien

Das Syrien-Rätsel

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Bereits vor rund 100 Jahren gab es den Versuch, Syrien in eine föderale Demokratie zu transformieren. Damals hätte sich Assad über die Amerikaner gefreut.

The European

bq. „Der Historiker ist ein rückwärtsgehender Prophet.“ (Novalis) Baschar al-Assad behauptet, Syrien sei ein Opfer ausländischer Mächte und derer Intrigen, von Kräften, die er in erster Linie durch die USA, Türkei, Saudi-Arabien und Katar angeführt sieht. „Sie versuchen, das Land zu destabilisieren.“ So äußerte es der syrische Präsident sinngemäß im TV-Interview mit J. Todenhöfer vom 8. Juli 2012. Ausgerechnet die USA. Auch wenn nicht festzustellen ist, wer gerade, wie und warum in Syrien Einfluss nimmt; Tatsache ist: es gab einmal eine Zeit – vor 93 Jahren –, da hätte wahrscheinlich auch ein Assad die Amerikaner mit Kusshand als Besatzer in Damaskus begrüßt. Sie waren nach Ende des Ersten Weltkrieges die Einzigen im Konzert der Großmächte, die sich unbedingt für Syrien als freies Land einsetzten.

Das syrische Rätsel
Am 10. Juni 1919 schickte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson im Rahmen seines „14-Punkte-Friedensplans“ eine Kommission in das Land. Diese sogenannte "„King-Crane-Kommission“(Link)":http://en.wikipedia.org/wiki/King%E2%80%93Crane_Commission, benannt nach Dr. H. C. King und C. R. Crane, sollte durch die Region reisen und herausfinden, was die Bevölkerung nach 400 Jahren Herrschaft der Türken für eine Regierungsform bevorzugen würde. Von einem Teilnehmer dieser Kommission wurde in dem Zusammenhang der Begriff des _Syrischen Rätsels_ geprägt, den er in den Abschlussbericht schrieb. Die Umsetzung des Friedensplans erwies sich als schwierig: England und Frankreich verweigerten sich, als Siegermächte eigene Vertreter in die Kommission zu entsenden, die ihnen lästig erschien, denn diese beiden Länder sollten später die Mandatsverwaltung für das Land übernehmen („Das Land“ meint das sogenannte "historische Syrien(Link)":http://de.wikipedia.org/wiki/Syrien#T.C3.BCrkische_und_franz.C3.B6sische_Herrschaft, das zu diesem Zeitpunkt die heutigen Länder Israel/Palästina, Jordanien, Libanon, Syrien und einen kleinen Teil der heutigen Südost-Türkei beinhaltete). Die syrische Bevölkerung reagierte enthusiastisch. Die unverhoffte Chance, gefragt zu werden, ging wie ein Lauffeuer durch das Land. Alle Bevölkerungsgruppen sendeten Petitionen oder äußerten sich durch Vertreter, die von der Kommission empfangen wurden. Es wurde ein Prozess eingeleitet, der die schon vorhandenen nationalistischen Ansätze verstärkte. Das wichtigste indirekte Ergebnis dieser Forcierung war die Bildung des syrischen Nationalkongresses. Vertreter der syrisch-arabischen Nationalisten und des arabischen Aufstandes aus dem Hedschas einigten sich aufgrund des besonderen Zeitdrucks, der durch das Erscheinen der Kommission verursacht wurde. Sie verständigten sich auf einen Staat mit Faisal, dem Sohn Husseins, des Scherifen von Mekka aus dem Stamm der Haschemiten, als König an der Spitze.
Ein sunnitischer Herrscher eint die syrische Bevölkerung
In diesem ganz besonderen Zeitfenster direkt nach dem Zusammenbruch der osmanischen Herrschaft wurde es möglich, die Unterschiede der ethnischen und religiösen Gruppierungen unter einem sunnitischen Herrscher, der seinen Stammbaum auf Mohamed zurückführen konnte, zu einen. Doch kaum war Faisal in Paris auf der Friedenskonferenz, da eskalierten die unterschiedlichen Interessen zu Streitereien, die nur durch ihn persönlich wieder geglättet werden konnten. Der Kommission präsentierte man im Ergebnis dann das vom Nationalkongress formulierte „Damaskusprotokoll“. Dieses Programm wurde von der Kommission als die beeindruckendste von allen ihnen übergebenen Petitionen gewertet. Darin präsentierten die Nationalisten eine Vision von einem geeinten Syrien vom Taurusgebirge im Norden bis zum Sinai im Süden. Den Mitgliedern der Kommission war aufgefallen, dass sehr viele abweichende Meinungen der panarabischen Idee eines einheitlichen Großsyriens geopfert wurden. Nach 42 Tagen Reise von Jaffa bis Mersin und der Annahme von 1863 Petitionen kamen die beiden Amerikaner zum dem Schluss, dass Syrien die Fähigkeit habe, sich – wenn nötig mit Hilfe der USA – selber zu verwalten. Das Land sollte eine „föderative, demokratische, konstitutionelle Monarchie“ werden, so die Kommission in ihrem Abschlussbericht.
Verpasste Chance
"Die Antwort auf die Frage, wie sich die vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen tatsächlich einigen konnten, lautete damals, wie heute: Sie konnten es eigentlich nicht.(Link)":http://theeuropean.de/debatte/5613-demokratisierung-im-nahen-osten Aber es bestand die Möglichkeit, den Zwang zur Einigung relativ gering zu halten und die Aussicht, bei etwas Zeit eine neue syrische Identität zu schaffen. Die ca. zwei Millionen Einwohner, die das Land 1920 hatte, waren zum Teil aus bildungsfernen Schichten und durch eine islamische Galionsfigur wie Faisal relativ leicht zu beeindrucken. Als dann öffentlich bekannt wurde, dass die Franzosen und Briten sich das Land aufteilen würden, war die Reaktion der Versuch, die Maximalforderungen durchzusetzen: Faisal wurde zum König proklamiert und daraufhin mit Gewalt durch die Franzosen abgesetzt und verbannt. So wurde damals, 1920, auf der Basis amerikanischen Engagements womöglich eine riesige Chance für die Region verpasst. Die Frage nach der optimalen Regierungsform für das heutige Syrien ist so aktuell wie damals. Doch was lehrt uns die Geschichte des ersten syrischen Nationalkongresses? Liegt die Lösung in der Zerstückelung des Landes, wie es die Franzosen in ihrer Mandatszeit auf die Spitze trieben? Nicht weniger als neun Flaggen wehten damals über dem Land und es könnten heute noch viel mehr sein. Oder in einer Einigung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Syrien unter einem sunnitischen Monarchen - gar einem Kalifen? Die Zeit wird zeigen, welche Szenarien und Spekulationen im heutigen Syrien tatsächlich realistisch und tragfähig sein werden. Das _Syrische Rätsel_ bleibt mit vielen unbekannten Einflussfaktoren bis dahin vorerst ungelöst.
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